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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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Zuneigung. Es war, als blickte man auf eine Miniaturwelt, eine Welt, die in ihren Details so ansprechend aussah, die Beschreibung eines Tellers mit Frühstück vor einem hungrigen Mann am Morgen, eines Grußes zwischen einem alten Pärchen, das Glück bei der Geburt eines Kindes. Die kurze Erzählung, das genaue, bildliche Schreiben, die Kulisse und der Fluss; alles kam zusammen, vereinigte sich zu einem großen Mysterium. Und dann verstand ich zum ersten Mal den Kern der Geschichte. Sie war vor allem eine Liebesgeschichte. Und ich verstand auch, dass das Buch Ort verborgenen Verlangens, uneingestandener Träume und sogar der Erfindung einer unwahrscheinlichen Welt war, gleichzeitig aber auch einer Welt, die nicht ungefährlich war, da in ihr die Richtung der Ereignisse jederzeit verlagert und verschoben werden konnte.
    Nicht, dass es nur eine glückliche Geschichte war. Denn da war noch etwas, das ich nun verstand. In dem Buch findet man nie heraus, wer genau sich unter den Leuten befand, die das Liebespaar in das Flussbett gezerrt und grausam zu Tode knüppelte hat und ihre Leichen verbrannte. Denn es war jeder. Es war die ganze Welt, die die Liebe dieser beiden Menschen getötet hatte. Ich empfand den Schmerz tief in meinem Herzen. Ich beendete das Buch um etwa vier Uhr morgens. Das ist die stillste Zeit im Gefängnis. Es war um dieselbe Zeit, als die Sommervögel in Park Slope anfingen zu singen.

-4-
    » B eeil dich, gottverdammt«, sagte einer der Wärter an einem frühen Sonntagnachmittag fünf Tage später durch die Tür, »Bleistift und Zahnbürste nach draußen.«
    Ich griff den Bleistift vom Bett und die fransige Zahnbürste vom Waschbecken und kniete vor der Tür nieder, um beide Gegenstände durch den Essensschlitz zu stecken. Der Wächter öffnete die zwei Schlösser mit demselben Klickgeräusch, jedes mit einem eigenen Schlüssel. Die Tür schwang auf. »Setz dich hin und heb deine Füße«, sagte er und nickte zum Bett. Er war noch jung, aber schon auf dem besten Weg untersetzt zu werden, schnell in jemand Schwereres zu wachsen. Er drehte seinen Kopf für einen Moment, um sicherzugehen, dass sein Kollege noch da war, und das kurze, blonde Haar unter seiner Mütze sah wie das Fell einer Waldkreatur aus.
    Als ich auf dem Bett saß, betrat er meine Zelle. Der zweite Wärter stand im blauen Licht des Ganges, seine rechte Hand lag auf einem Schlagstock, der von seinem Gürtel baumelte. Der erste Wärter kettete meine Beine an den Füßen zusammen. Dann befahl er mir aufzustehen und schloss meine Hände zusammen. Er erinnerte mich daran, dass ich mit niemandem auf dem Gang in Augenkontakt treten durfte, bis wir das Treppenhaus erreichten. Dieser Satz war Routine und wurde uns gegenüber jedes Mal wiederholt, wenn einer von uns aus seiner Zelle geführt wurde, und er kam auch diesmal gelangweilt aus dem Mund des Wärters. Zusammen schlurften wir den Weg hinunter, mit mir am Kopf der kleinen Gruppe. Wegen der Fußschellen war ich gezwungen, im Trippelschritt zu laufen wie ein Mann, der einem Beerdigungszug folgt. Beide Wärter hatten große und laute Ringe mit mindestens einem Dutzend Schlüssel an ihren Gürteln befestigt. Sie hingen herunter und klimperten wie die Insignien der Macht, die sie waren. Ich sah auf den Betonfußboden, bis wir das metallene Treppenhaus erreichten, während andere Häftlinge uns aus ihren Zellen zupfiffen und zuzischten. Es war schwer, die Stufen mit den Schellen hinunterzusteigen, aber da dies auch der Weg zum Hof war, wo ich einmal die Woche für eine halbe Stunde hingeführt wurde, um frische Luft zu schnappen, oder in die Bücherei, kannte ich den Drill, wusste, wie man einen Fuß auf die Kante der Stufe setzte, damit der andere die nächste Stufe darunter erreichen konnte. Ich fühlte mich warm und verschwitzt von den kleinen Schritten und dem allgemeinen Mangel an Bewegung. Nach ein paar weiteren Ecken und Türen kamen wir an. Der Besucherraum des Gefängnisses bestand aus fünf Kabinen. Jede war mit einem Metallstuhl ausgestattet, der am Boden festgeschweißt war. Der schwarze Telefonhörer hing auf der linken Seite der Kabine. In die Wände eingearbeitet war jeweils ein dickes Quadrat aus verstärktem Glas. Durch das Fenster sah ich David Amos. Er saß auf einem orangen Stuhl. In dem Moment, in dem er mich sah, griff er nach dem Telefonhörer auf seiner Seite.
    »Sie haben fünfzehn Minuten«, schrie der Wärter mir zu, »fünfzehn Minuten.« Ich drehte mich um und sah,

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