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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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unsicher. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen auch ein bisschen helfen, so wie Sie mir.«
    Beschämt begleitete Tilo ihn zur Tür. Als Psychotherapeut hatte er gründlich versagt.
     
    Endlich gelang es Imke, sich aufzurappeln. Sie beugte sich über die Spüle und ließ kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Dann kämmte sie sich mit den Fingern das kurze Haar. Sie rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht und strich Hose und Pulli glatt.
    »So«, sagte sie laut und fing an, die Einkäufe zu verstauen.
    Ein Teil kam in den Kühlschrank, ein Teil in die Vorratskammer. Das Gefrorene war bereits angetaut. Imke räumte es schnell in den Tiefkühlschrank. Die Getränkekästen hatte sie im Wagen gelassen. Die würde sie später holen.
    Sie verteilte die Äpfel und Apfelsinen auf der Obstschale und trug sie in den Wintergarten. Dann gab sie die Rosen in eine Vase und stellte sie neben die Obstschale auf den Tisch. Die Rosen hatten kleine goldgelbe Blüten mit krausem Rand. Sie erinnerten Imke an lange, verdöste Sommernachmittage voller Sonne, am Strand vielleicht, mit den Rufen badender Menschen hinter einem angenehmen Schleier von Müdigkeit.
    Als alles an Ort und Stelle war, hatte Imke sich wieder einigermaßen gefangen. Es war eine Panikattacke gewesen, sagte sie sich, nicht mehr und nicht weniger, ein subjektiver, zeitlich begrenzter Angstzustand, wie Tilo das wahrscheinlich nennen  würde. Niemand hatte im Gebüsch gelauert, niemand sie bedroht. Sie war von ihrer eigenen Furcht in die Flucht geschlagen worden.
    Sie gab Edgar und Molly, die ihre Chance witterten und ihr maunzend um die Beine strichen, von dem frisch gekauften Katzenfutter, machte sich einen Kaffee und ging die Treppe hinauf, um ein bisschen zu schreiben. Sie stieß die Tür ihres Arbeitszimmers auf und erstarrte mitten in der Bewegung.
    Der Holzfußboden war über und über mit roten Blütenblättern bedeckt.
    Zwischen ihnen leuchteten kleine Notizzettel, die von ihrem Schreibtisch zu stammen schienen.
    Imke ließ die Tasse fallen. Der Kaffee schwappte dem schweren Porzellan mit einer winzigen Verzögerung hinterher. Imke presste die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien.
    Die Sekunden, die verstrichen, kamen ihr wie Stunden vor.
    Auf Zehenspitzen betrat sie schließlich das Zimmer. Sie zwang sich, den Blick zu senken.
    Auf jedem Zettel stand nur ein einziges Wort.
    Du.
    Immer und immer wieder Du.
    Beklommen ließ Imke den Blick durch das Zimmer wandern. Nichts sonst war verändert.
    Sie spähte aus dem Fenster und konnte auch dort nichts Ungewöhnliches entdecken. Sie wollte sich umdrehen, aber sie schaffte es nicht, sich zu bewegen.
    Du. Du. Du.
    Ein Wort nur. Zwei Buchstaben. Inmitten hauchdünner Blütenblätter.
    Und doch so viel geballte Gewalt.
    Das Wort schrie ihr von jedem Zettel entgegen. Fast konnte sie die Stimme des Mannes hören, der es geschrieben hatte, dutzendfach, in seiner kunstvollen, beherrschten Schrift.
    DU.
    Es war, als würde dieser Mann sie auf diese Weise berühren. Sie anfassen mit seinen groben, schmierigen Händen.
    Imke hatte das Bedürfnis zu duschen. Sich von seinen Übergriffen zu reinigen. Aber dazu müsste sie zuerst das Zimmer verlassen. Über den Flur gehen und ins Bad.
    Eine ungeheure Anstrengung.
    Und wenn er noch in der Nähe war?
    Das Entsetzen kroch ihr unter die Haut.
    Mit einem enormen Kraftaufwand hob Imke den rechten Fuß, dann den linken. Sie musste den Sessel erreichen, auf dem das Telefon lag. Rechter Fuß. Linker Fuß. Zentimeter für Zentimeter bewältigte sie den kurzen, schweren Weg. Sie streckte die Hand nach dem Telefon aus. Wählte Tilos Nummer.
    Dann versagten ihr die Beine und sie fiel, fiel und fiel.
     

Kapitel 13
    Allem Anschein nach stand sie unter Schock. Als Tilo sie gefunden hatte, zusammengekauert hinter der Tür ihres Arbeitszimmers, war sie nicht fähig gewesen, auf ihn zu reagieren. Sie hatte ihn flüchtig wahrgenommen und weiter ins Leere gestarrt.
    Tilo hatte sie ins Bett gebracht, sie mit einer Wolldecke zugedeckt, ihr eine Wärmflasche an die Füße gelegt und das Rollo ein Stück heruntergezogen. In dem wohltuenden Dämmerlicht hatte er an Imkes Bett gesessen, ihre Hand gehalten und ihr beim Einschlafen zugeschaut.
    Fragen wären zu diesem Zeitpunkt sinnlos gewesen. Imke hätte ohnehin nicht geantwortet. Auch am Telefon hatte sie kein Wort herausgebracht. Tilo hatte ihre Nummer auf dem Display erkannt und aus ihrem Schweigen sofort geschlossen, dass etwas nicht in

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