Der Schattenprinz
wir dann hier? Wo liegt der Sinn?«
»Das mußt du mir sagen, denn du bist der wahre Anführer.«
»Ich bin kein Fackelträger, Priester! Ich bin ein Mann. Ich wähle mein eigenes Schicksal.«
»Selbstverständlich tust du das. Ich habe auch nichts anderes behauptet. Aber du bist ein Mann von Ehre. Wenn dir Verantwortung aufgebürdet wird, kannst du vor ihr davonlaufen? Nein - so bist du nicht, und so wirst du niemals sein. Das macht dich zu dem, was du bist. Deswegen folgen dir Menschen, obwohl sie dein Blut hassen. Sie vertrauen dir.«
»Ich mag keine aussichtslosen Kämpfe, Priester. Du hat vielleicht den Wunsch zu sterben, aber ich nicht. Ich bin kein Held - ich bin Soldat. Wenn die Schlacht verloren ist, trete ich den Rückzug an und formiere meine Truppe neu. Und wenn der Krieg vorüber ist, lege ich mein Schwert nieder.«
»Das verstehe ich«, meinte Abaddon.
»Dann sollst du dies wissen: ganz gleich, wie aussichtslos dieser Krieg ist, ich werde kämpfen, um zu siegen. Was immer ich tun muß, das werde ich tun. Nichts kann schlimmer sein als Ceska.«
»Jetzt sprichst du von den Nadir. Willst du meinen Segen?«
»Du sollst nicht meine Gedanken lesen, Priester!«
»Ich habe deine Gedanken nicht gelesen, nur deine Worte. Du weißt, daß die Nadir die Drenai hassen. Du wirst einen blutigen Tyrannen durch einen anderen ersetzen - mehr nicht.«
»Vielleicht. Aber ich werde es trotzdem versuchen.«
»Dann werden wir dir helfen.«
»Ohne Eide, ohne Drängen, ohne Ratschläge?«
»Ich habe dir gesagt, daß dein Plan mit den Nadir zu viele Gefahren birgt. Ich werde mich nicht wiederholen. Aber du bist der Anführer - es ist deine Entscheidung.«
»Ich habe es nur Arvan erzählt. Die anderen würden es nicht verstehen.«
»Ich werde nichts sagen.«
Daraufhin verließ Tenaka den Abt und wanderte in die Nacht hinaus. Abaddon setzte sich mit dem Rücken gegen einen Baum. Er war müde, und seine Seele war bedrückt. Er fragte sich, ob die Äbte vor ihm auch solche Zweifel gekannt hatten. Hatte der Dichter Vintar auch eine solche Last getragen, als er mit den Dreißig nach Delnoch ritt? Bald würde er es wissen.
Er spürte, daß Decado sich näherte. Der Krieger war besorgt, doch sein Zorn ließ nach. Abaddon schloß die Augen und lehnte den Kopf an die rauhe Borke des Baumes.
»Können wir reden?« fragte Decado.
»Die Stimme kann sprechen, zu wem es ihr gefällt«, antwortete Abaddon, ohne die Augen zu öffnen.
»Können wir so reden wie früher, als ich noch dein Schüler war?«
Abaddon setzte sich auf und lächelte sanft. »Dann setz dich zu mir, mein Schüler.«
»Mein Zorn und meine scharfen Worte tun mir leid.«
»Worte sind nichts als Geräusche, mein Sohn. Ich habe dich unter großen Druck gesetzt.«
»Ich fürchte, ich bin nicht der Anführer, den sich die Quelle wünschen würde. Ich möchte zu Acuas’ Gunsten zurücktreten. Ist das gestattet?«
»Warte noch ein Weilchen. Triff noch keine Entscheidung. Erzähl mir lieber, warum du deine Meinung geändert hast.«
Decado stützte sich auf den Ellenbogen und starrte zu den Sternen hinauf. Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern. »Als ich die Templer herausforderte und euer aller Leben aufs Spiel setzte. Das war unwürdig, und ich habe mich geschämt. Aber ihr habt gehorcht. Ihr habt eure Seelen in meine Hände gelegt. Und es war mir egal.«
»Aber jetzt ist es dir nicht mehr egal, Decado?«
»Nein. Ganz und gar nicht.«
»Das macht mich glücklich, mein Junge.«
Eine Weile saßen sie schweigend da, bis Decado wieder das Wort ergriff. »Sag mir, Vater Abt, wie kommt es, daß der Templer so rasch fiel?«
»Hast du erwartet, zu sterben?«
»Ich hielt es für möglich.«
»Der Mann, den du erschlagen hast, war einer der Sechs, der Herrscher der Templer. Sein Name war Padaxes. Er war ein böser Mann, ein ehemaliger Priester der Quelle, der von seinen Lüsten überwältigt wurde. Es stimmt, er hatte Macht. Das haben sie alle. Verglichen mit gewöhnlichen Menschen, sind sie unbesiegbar. Tödlich! Aber du, mein lieber Decado, bist kein gewöhnlicher Mensch. Auch du verfügst über Macht. Aber sie ist noch unreif. Wenn du kämpfst, setzt du Kräfte frei, die dich zu einem unvergleichlichen Krieger machen. Hinzu kommt, daß du nicht nur für dich selbst kämpftest, sondern für andere. Dadurch wurdest du unbesiegbar. Das Böse ist niemals wahrhaft stark, denn es wird aus der Angst geboren. Warum der Templer so rasch fiel? Weil er
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