Der Schatz des Dschingis Khan
zu können, brach Muriel fast das Herz. Sie fragte sich, wie lange es die Connemarastute in dem eisigen Wasser wohl noch aushalten konnte. Es war deutlich zu sehen, dass sie immer schwächer wurde. Die Kälte lähmte ihre Muskeln. Wenn die Feuerwehr nicht bald eintraf, würde sie erfrieren oder besinnungslos werden und ertrinken. Da nützte es auch nichts mehr, dass das Wasser an der Stelle noch nicht so tief war und Fanny dort stehen konnte.
Muriel lief den Hügel hinunter zum Ufer. Die Pferde des Birkenhofs, die Fannys verzweifelten Kampf mit stoischer Ruhe beobachteten, wichen respektvoll zur Seite, als sie Muriel kommen hörten. Nur Nero, den mit Fanny eine enge Freundschaft verband, stand in der Nähe des Ufers auf dem zugefrorenen See und ließ seine schweren Hufe auf die Eisdecke krachen, als könnte er Fanny damit helfen.
»Lass gut sein, Nero.« Muriel tätschelte dem betagten Kaltblüter liebevoll den Hals und sagte mehr zu sich selbst: »Die Feuerwehr muss jeden Augenblick hier sein. Die holen deine Freundin da raus. Du wirst sehen, es wird alles gut.«
Aller Zuversicht zum Trotz vergingen noch einmal einige qualvolle Minuten, ehe auf der anderen Seite des Zauns endlich Motorengeräusche zu hören waren, die sich langsam näherten. »Das sind sie!« Muriel gab Nero einen Klaps und rannte zum Weidezaun. Die dicke Daunenjacke machte es ihr nicht leicht, sich zwischen den straff gespannten Drähten des Zauns hindurchzuzwängen, aber schließlich überwand sie auch dieses Hindernis. »Halte durch!«, rief sie Fanny zu, die sichtlich entkräftet inmitten von Eisschollen in dem Loch ausharrte und sich nur noch schwerfällig bewegte. Zwar hatte sie die Versuche, sich zu befreien, noch nicht aufgegeben, war aber schon so schwach, dass es ihr kaum noch gelang, einen Huf auf das Eis zu heben.
Endlich kam der rote Einsatzwagen der Willenberger Feuerwehr in Sicht. Langsam, in Muriels Augen viel zu langsam, bahnte er sich mit seinem Anhänger, auf dem ein Schlauchboot zu sehen war, einen Weg durch den Schnee, immer darauf bedacht, die Spur nicht zu verlassen. Ihm folgte ein Feuerwehr-Oldtimer mit Drehleiter, den alle in Willenberg liebevoll »Emma« nannten und der bei jedem Ereignis zum Einsatz kam, bei dem eine Drehleiter vonnöten sein konnte. Die Fahrzeuge schaukelten heftig. Der Wind hatte den Schnee teilweise vom Feldweg geweht, sodass die Fahrer den Verlauf zumindest erahnen konnten, dennoch war in dem schwierigen Gelände höchste Vorsicht geboten.
»Schneller! Macht schneller!« Die Hände vor Anspannung zu Fäusten geballt, beobachtete Muriel, wie sich die Fahrzeuge näherten. Einige Meter vom Ufer entfernt blieben sie stehen. Die Motoren verstummten und die Lichter gingen aus. Vier Feuerwehrmänner in orangeroten Jacken sprangen aus dem Einsatzfahrzeug und liefen um den Wagen herum, um das Schlauchboot vom Anhänger zu holen. Der Fahrer kam auf Muriel zu. »Hast du uns angerufen?«, fragte er.
»Ja.« Muriel nickte. »Bitte beeilen sie sich. Fanny ist schon ganz schwach.«
»Wir tun, was wir können.« Der Feuerwehrmann zwinkerte Muriel zu. »Versprochen.« Hinter ihm waren zwei weitere Männer aus dem Oldtimer gesprungen. Sie lösten eine Leiter vom Einsatzfahrzeug, liefen damit zum Ufer und prüften vorsichtig, wie dick die Eisdecke war. Die vier anderen folgten ihnen mit dem Schlauchboot.
»Komm mit!« Der Feuerwehrmann gab Muriel ein Zeichen, ihm zu folgen, ehe er zu den anderen an das Seeufer ging. Muriel folgte ihm zögernd. In ihren Augen dauerte alles viel zu lange. Sie hatte schon am Telefon erzählt, was passiert war, und gehofft, dass die Feuerwehr sofort mit der Bergung des verunglückten Ponys beginnen würde. Zunächst aber geschah gar nichts. Die Männer standen am Ufer beisammen und diskutierten aufgeregt, schienen sich aber nicht wirklich einig zu werden, wie das Pferd schnell und sicher aus seiner misslichen Lage befreit werden konnte.
»... ist viel zu schwer … können nicht so weit auf das Eis hinaus … schon sehr erschöpft … müssten einen Kran haben … können versuchen, das Pferd …« Wortfetzen schwebten Muriel zu, die für sie keinen Sinn ergaben, und doch nur von einem kündeten: Ratlosigkeit.
Am anderen Ufer hörte sie Nero wiehern und sah, wie er ungeduldig mit den Hufen scharrte. Auch er schien zu spüren, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb. Fanny antwortete mit einem kläglichen Ton, der kaum mehr Ähnlichkeit mit einem Wiehern hatte. Die kleine Stute tat
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