Der Schatz von Blackhope Hall
Feind. Über sein Gesicht strömte Blut, sein Arm bewegte sich langsamer. Er schwankte ein wenig, sein Fuß suchte Halt auf der Stufe hinter ihm. Entsetzt hielt Alys den Atem an und fürchtete, er würde stürzen. Aber er fand sein Gleichgewicht wieder und stieg hinauf.
Verzweifelt bemerkte sie, wie erschöpft er war. Bald würde er stolpern und zusammenbrechen, von feindlichen Klingen durchbohrt.
"John!" rief sie.
"Was machst du, Alys? Geh ins Zimmer zurück! Verriegle die Tür!"
"Nicht ohne dich!"
"Bist du verrückt?"
"Niemals lasse ich dich im Stich. Das habe ich oft genug beteuert."
Schwerter klirrten, und John fluchte. Aus der geöffneten Tür wehte ein Luftzug zu ihm herab. Mit immer schwächeren Schwerthieben zog er sich noch weiter zurück, und der Soldat an der Spitze des gegnerischen Trupps folgte ihm. Nun stieg John etwas schneller die Stufen herauf, der Gegner lief hinterher, die anderen Soldaten blieben ihm auf den Fersen.
Am Treppenabsatz angelangt, musste John nicht über die Schulter spähen. Stattdessen sprang er einfach nach hinten, ins Turmzimmer, und Alys versuchte die Tür zu schließen. Aber der feindliche Krieger stürmte ebenfalls herein und stieß die Schlossherrin beiseite.
In aller Eile kehrte sie zur Tür zurück, warf sie ins Schloss und schob den Riegel vor. Das Schwert gezückt, trat John dem Feind entgegen. Inzwischen hatte er seinen Schwächeanfall überwunden. Mit zwei harten, schnellen Streichen brachte er den Mann ins Straucheln, stellte ihm ein Bein, und der Soldat landete krachend auf dem Rücken. Sekunden später steckte die Klinge in seinem Hals.
John zog sein Schwert aus der tödlichen Wunde und starrte Alys an. Auf seinen Wangen mischten sich Blut und Schweiß. "Großer Gott, Frau, sagte ich nicht, du sollst dich hier oben einsperren? Weißt du, was du gewagt hast?"
"Nur, was du auch für mich riskiert hast."
Da ließ er sein Schwert fallen, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich.
Erfolglos schlugen die Soldaten gegen die Tür. John stellte verächtlich fest: "Bald werden sie ihr Glück mit dem Rammbock versuchen. Aber den können sie auf der schmalen Wendeltreppe nicht heraufbefördern, also werden sie Äxte benutzen …" Nun kehrte seine Erschöpfung zurück. An die Wand gelehnt, sank er zu Boden. Dabei fiel sein Blick auf Elwena. "Warum hast du sie gerettet?"
"Sollte ich sie dem sicheren Tod preisgeben?"
"Nein, dazu warst du unfähig", antwortete er lächelnd. "Für dich hätte sie niemals das Gleiche getan."
Schritte vor der Tür verrieten ein reges Kommen und Gehen. Dann wurde auf das Holz gehämmert.
"Nur Streitäxte", erklärte John. "Eine Zeit lang kann ich mich noch ausruhen …"
Kurz danach veränderten sich die Geräusche, von lauten Stimmen untermalt. Durch die Ritzen am Türrahmen drang Rauchgeruch ins Turmzimmer. Erschrocken wandte sich Alys John zu. "Oh Gott, was tun sie?"
"Offenbar haben sie Brennholz vor die Tür gelegt und angezündet. Sie hoffen, das Holz wird in Flammen aufgehen. Oder sie wollen uns ausräuchern."
"Sind wir dem Tod näher, als ich dachte? Diese Binsen würden sofort Feuer fangen?"
Er nickte und schob den strohtrockenen Bodenbelag von der Tür zur Mitte des Raums.
"Wartet!" rief Elwena und winkte das Paar zu sich.
"Was habt Ihr zu sagen?" Alys kniete neben ihr nieder.
"Ich möchte Euch zur Flucht verhelfen."
"Was?" Verwirrt zog Alys die Brauen hoch. Sprach die Frau im Wahn, vom Blutverlust geschwächt?
"Ich kenne einen Weg nach draußen. Aber Ihr müsst mir versprechen, für den Jungen zu sorgen und ihn großzuziehen wie Euer eigenes Fleisch und Blut."
"Natürlich." Alys schaute zu dem Kind hinüber, das neben seiner Mutter saß, die Augen angstvoll aufgerissen. "Aber wir können nicht gehen – die Soldaten …"
"Hier gibt es eine Geheimtür."
Jetzt sank auch John an Elwenas Seite auf die Knie. "Was heißt das? Meint Ihr einen Geheimgang?"
"Ja, eine Treppe innerhalb der Turmmauer. Die habe ich oft benutzt, um Sir Raymond in diesem Raum zu treffen. Er liebt Geheimnisse. Schon vor langer Zeit ließ er die Stufen einbauen – ehe er Euch geheiratet hat, Mylady."
"Tatsächlich?" Alys' Augen leuchteten auf. "Dann wollen wir sofort hinabsteigen. Aber Ihr müsst uns begleiten."
"Nein, ich würde Euch nur behindern."
"Wir können Euch nicht dem Feind ausliefern."
"Doch, das müsst Ihr …" Beschwörend blickte Elwena zu Alys auf. "Lasst mich zurück. Ich werde so oder so sterben. Das wisst Ihr. Ohne
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