Der Schatz von Blackhope Hall
mich kommt Ihr schneller voran. Wenn Ihr Euch mit mir belastet, würde der Feind uns aufhalten, bevor wir den Burghof durchquert hätten."
John schaute Alys an, und beide mussten der schwer verletzten Frau Recht geben.
"Tauschen wir unsere Kleider, Mylady", fuhr Elwena fort. "Die Feinde kennen Euch nicht. Deshalb werden sie mich für Euch halten und allen Leuten erzählen, die Schlossherrin sei gestorben. Das wird auch Sir Raymond glauben." Viel sagend sah sie Alys an, die nur zu gut verstand, was diese letzten Worte bedeuteten.
Ihr Ehemann würde nicht nach ihr suchen, und sie müsste ihr Leben mit John nicht in ständiger Angst vor der Rache des Betrogenen verbringen. Um sich an die einzige Hoffnung auf ein gemeinsames Glück zu klammern, hatten sie ihre Flucht geplant. Sie ertrugen es nicht, noch länger in der Festung auszuharren, an der verbotenen Liebe zu leiden. Was sie wagen würden, hatten sie gewusst. Sir Raymond würde sie unbarmherzig jagen. Selbst wenn sie den Vorsprung einiger Tage gewännen – letzten Endes würde er sie aufspüren und töten. Und sollten sie wider Erwarten entkommen, müssten sie bis zu ihrem letzten Atemzug über die Schulter spähen, voller Angst, er würde sie doch noch finden.
Jetzt wollte Elwena ihnen den Weg in die Freiheit ebnen. Tränen verschleierten Alys' Augen. "Danke", flüsterte sie.
"Ich bitte Euch nur – nehmt Guy mit und beschützt ihn."
"Ja, gewiss …" Nun strömten die Tränen unaufhaltsam über Alys' Gesicht. "Das schwöre ich Euch. Wir werden ihn aufziehen, als wäre er unser eigenes Kind."
Elwena lächelte schwach. "Besten Dank, Mylady."
Wie sich herausstellte, war der Kleidertausch zu mühsam für die Sterbende. Schließlich streifte Alys nur ihre Tunika über Elwenas blutiges Gewand und schlang ihr den passenden Gürtel um die Hüften. Dann zog sie eine schlichtere Tunika aus ihrem Gepäck, schlüpfte hinein und legte einen einfachen Ledergürtel an. Ihr Haar verbarg sie unter einem Schleier.
Sie beschloss, die goldene Kassette, die einen Großteil des Familienschatzes enthielt, im Turmzimmer zurückzulassen. Nur ihren schönsten, mit Juwelen besetzten Gürtel, ein paar Ringe, Armbänder und eine Lederbörse voller Goldund Silbermünzen verstaute sie in ihrem Beutel.
Wenn die Flucht mit John gelungen war, würden sie etwas Geld brauchen, um ein neues Leben zu beginnen. Vielleicht konnten sie irgendwo ein kleines Stück Land kaufen, möglichst weit von Sir Raymonds Festung entfernt. Das protzige goldene Kreuz, das er ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, steckte sie nicht ein. In dem Kästchen lag noch genug anderer Schmuck, der die plündernden Krieger in der Überzeugung bestärken würde, sie hätten die Leiche der Schlossherrin gefunden.
Alys nahm ihre Kette mit dem kleinen goldenen Kreuz ab und legte sie um Elwenas Hals. Dann steckte sie ihr den Ehering und zwei weitere Ringe an die Finger.
Zuletzt übergab sie ihr den Rosenkranz aus kunstvoll ziselierten Goldperlen, ihren kostbarsten Besitz, von dem sie sich nur ungern trennte, denn sie hatte ihn aus ihrem Vaterhaus mitgebracht. So oft war er bei inbrünstigen Gebeten durch ihre Hand geglitten, und sie fand es erstaunlich, dass man die winzigen eingravierten Bilder, die ihre Fingerspitzen betastet hatten, immer noch erkannte.
Wie viel ihr der Rosenkranz bedeutete, wusste Sir Raymond. Wenn man diese goldene Kette bei einer Leiche im Turmzimmer entdeckte, würde er keine Sekunde lang bezweifeln, seine tote Gemahlin wäre gefunden worden. Außerdem brauchte die sterbende Frau viel dringender göttlichen Beistand als Alys, die mit ihrem Liebsten fliehen würde.
Elwena umfasste die Kette. Instinktiv strich sie über die geweihten Perlen.
Nun griff Alys unter ihr loses Hemd, öffnete den Knoten der Lederschnur, die sie um die Taille trug, und holte sie hervor. Daran hing ein kleiner gravierter Goldring – ein Liebespfand, das John ihr vor Monaten geschenkt und das sie seither stets auf der Haut gespürt hatte, eine Erinnerung an die geheime Leidenschaft. Lächelnd liebkoste sie den schlichten Reif und schob ihn an der Stelle des Eherings auf ihren Finger.
Mit einer bebenden Hand zog Elwena ein Ledersäckchen aus der Tasche ihres Rocks. "Nehmt das. Für den Jungen. Meine ganzen Ersparnisse …"
Alys nickte und packte das Säckchen zu ihren Habseligkeiten in den Beutel. Trotz seiner geringen Größe fühlte es sich erstaunlich schwer an, und sie hörte Münzen klirren.
"Stellt die Kassette an die
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