Der Schatz von Blackhope Hall
Elwenas Rippen. Dann nahm sie ein Nachthemd aus ihrem Beutel und benutzte ihren Dolch, um es in lange Streifen zu schneiden, die sie um Elwenas Brustkorb wickelte. Wenigstens wollte sie ihr einen festen Verband anlegen.
Keuchend hob Sir Raymonds Mätresse den Kopf. "Ihr habt mir geholfen – trotz allem", flüsterte sie verwundert.
"Natürlich, Ihr wart in Not."
"Aber Ihr seid seine Frau. Und ich …"
"Das weiß ich." Alys zuckte mit den Schultern. "Was nichts an der Tatsache ändert, dass Euch tödliche Gefahren drohten. Hätte ich einfach zusehen sollen, wenn die Feinde Euch vergewaltigt und ermordet hätten?"
"Andere Frauen an Eurer Stelle hätten das getan."
"Vielleicht. Zu solchen Frauen gehöre ich nicht."
Mit traurigen Augen schaute Elwena zu Alys auf. "So schlecht habe ich Euch behandelt. In all meinem kostbaren Staat stolzierte ich vor Euch umher."
"Ja, ich entsinne mich …" Nach einer kurzen Pause fügte Alys hinzu: "Trotzdem zürne ich Euch nicht. Ich bin nicht eifersüchtig. Ganz im Gegenteil – ich begrüßte die Nächte, die er bei Euch verbrachte. Dann blieben mir seine Gelüste erspart. Und ich bedauerte Euch, weil Ihr das alles ertragen musstet."
Herausfordernd hob Elwena ihr Kinn. "Euer Mitleid brauche ich nicht. Was immer er mir aufzwang, ich nahm es hin, denn er bot Guy und mir ein sorgenfreies Leben."
"Sicher habt Ihr Euer Bestes für den Jungen getan", meinte Alys freundlich. Sie stand auf, eilte zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit, um hinauszuspähen. Immer näher rückte der Schlachtenlärm. Das bedeutete, dass John noch lebte, und sie dankte dem Himmel. Nachdem sie den Riegel wieder vorgeschoben hatte, kauerte sie sich an Elwenas Seite auf den Boden. Der Junge saß neben dem Kopf seiner Mutter und streichelte ihr Haar. Den Daumen seiner anderen Hand hatte er in den Mund gesteckt. Aus seinen Augen sprach unverhohlene Angst. Er weiß Bescheid, dachte Alys bedrückt. Mit dem Instinkt eines Kindes erkannte er, in welcher Gefahr seine Mama schwebte.
Voller Sorge betrachtete Alys den Verband, den das Blut getränkt hatte. Auch das Kleid war dunkelrot verfärbt. Eine tödliche Wunde … Und es war nur eine Frage der Zeit, bis Elwena sterben würde.
Als Alys dem Blick der schwer verletzten Frau begegnete, meldete sich ihr Gewissen. Hatte Elwena jene schrecklichen Gedanken gelesen?
Zu Alys' Verblüffung fragte die Mätresse: "Lieben Sie ihn?"
"Wen?" entgegnete Alys, obwohl sie erriet, dass Elwena nicht Sir Raymond meinte.
"Den Kommandanten, Sir John. Jemand behauptete, Ihr beide wärt ein Liebespaar."
"Wer sagt das?"
"Mein Herr. Als er betrunken war."
"Sir Raymond?" Erstaunt runzelte Alys die Stirn. "Aber er hat niemals …"
"Oh, das würde er keiner Menschenseele anvertrauen, weil es seinen Stolz zutiefst verletzt. Auch mir wollte er es nicht erzählen. Und wahrscheinlich erinnert er sich gar nicht mehr an jenes Gespräch. Und er wird Mittel und Wege ersinnen, um Euch zu bestrafen, ohne irgendjemanden wissen zu lassen, warum."
"Dafür wird er keine Zeit mehr finden."
"Ganz bestimmt nicht."
Mit schmalen Augen starrte Alys die Geliebte ihres Ehemanns an. "Was wollt Ihr damit andeuten?"
"Da sich die Festung in der Gewalt der Feinde befindet, werden wir alle sterben. Glaubt ihr etwa, wir wurden zufällig in Sir Raymonds Abwesenheit belagert? Ich nicht …"
"Nein", widersprach Alys automatisch, "das hat er nicht geplant. Dies ist sein Heim. Und all seine Leute … Unmöglich, er konnte doch nicht …" Sie verstummte, während sich ihre Gedanken überschlugen. "All diese Menschen dem Tod auszuliefern – die Krieger, die Dienstboten –, nur um sich an mir zu rächen? So niederträchtig wäre nicht einmal Sir Raymond."
"Angeblich tanzt er mit dem Teufel im Wald."
Unbewusst umklammerte Alys das Kreuz, das an ihrer Halskette hing. "Glaubt Ihr, er würde sogar Euren Tod in Kauf nehmen?"
"Bildet Ihr Euch etwa ein, ich würde ihm etwas bedeuten?" Elwena lächelte bitter. "Weil er sich mit mir vergnügt? Gewiss, er beschenkt mich großzügig. Trotzdem bin ich ihm nicht wichtiger als das Brot, das er täglich isst, oder die Schuhe an seinen Füßen."
"Wartet …" Alys hob eine Hand und brachte die Frau zum Schweigen. Den Kopf schief gelegt, lauschte sie. "Die Geräusche des Kampfs kommen näher …" Erschrocken sprang sie auf, rannte zur Tür und presste ein Ohr ans Holz. Dann schob sie den Riegel zurück und schaute hinaus.
Nur wenige Schritte entfernt focht John gegen den
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