Der Schatz von Blackhope Hall
wüssten …" Plötzlich hellte sich ihre Miene auf. "Ich werde meinem Großonkel Bellard schreiben, einem begeisterten Historiker. In seinem Zimmer verwahrt er unzählige Geschichtsbücher, und er führt eine rege Korrespondenz mit Gleichgesinnten. Wenn irgendwelche detaillierten Aufzeichnungen über Sir Raymond und die Märtyrer existieren, wird er sie sicher finden."
"Also gut, ich schicke einen Boten mit deinem Brief nach London. Hoffentlich wird uns dein Onkel helfen. Dafür wäre ich ihm sehr dankbar. Hier komme ich mir allmählich wie in einem Irrenhaus vor. Übrigens, die abendliche Farce halte ich inzwischen für einen simplen Trick."
"Ich werde Großonkel Bellard sofort schreiben." Von neuem Tatendrang erfasst, wandte sie sich zur Tür.
"Warte, Olivia", bat Stephen. Als sie sich umdrehte, hob er eine Hand und ließ sie unsicher wieder sinken. "Was in unserem Traum geschah …", fügte er hinzu und zögerte. Forschend schaute er ihr ins Gesicht.
Die Glut in seinem Blick erfüllte sie mit süßer Schwäche. Die Wirkung, die er auf Olivias Sinne ausübte, erschreckte sie. Unwillkürlich erinnerte sie sich an Pamelas Warnung. Er sei ein gefährlicher Schürzenjäger, hatte seine Schwägerin behauptet. Und jetzt fand Olivia die Gefahr, die von ihm ausging, so bedrohlich wie nichts anderes, was sie jemals erlebt hatte. Deshalb sollte sie seiner Nähe möglichst schnell entfliehen.
Dann berührte er ihre Wange, und sie vergaß den klugen Entschluss, das Weite zu suchen.
"Das dürfte ich nicht tun …" Behutsam glitt sein Daumen über ihre Schläfe. "Aber sobald ich dich angucke, weiß ich nicht mehr, wie sich ein Gentleman benimmt."
"In meiner Familie legt man keinen übertriebenen Wert auf Manieren", erwiderte sie mit belegter Stimme.
"Welch ein Glück für mich!" Lächelnd neigte er den Kopf.
Ihre Lippen fanden sich, und Olivias letzte klare Gedanken schwanden dahin. Als sie den Kuss instinktiv erwiderte, stöhnte Stephen leise und zog sie an seine Brust. Nur zu gern ließ sie sich umfangen, spürte seine harten Muskeln an ihren weichen Rundungen, und ihr Körper antwortete auf die betörenden Emotionen.
Die Arme um seinen Hals geschlungen, klammerte sie sich an ihn, genoss den Geschmack seines Mundes, seinen Geruch, die Wärme, die er ausstrahlte. Nach einer Weile beendete er den Kuss, und seine Lippen glitten an ihrem Hals hinab. Seine Hand umfasste eine ihrer Brüste. Verwirrt und entzückt hielt sie den Atem an. Nun wollte sie noch mehr wissen, noch mehr fühlen. Langsam grub sie ihre Finger in sein seidiges Haar.
Seine Zunge kostete den Puls, der unter der zarten Haut ihres Halses pochte, und sie erschauerte wohlig. In ihrem Bauch schien ein Feuer zu explodieren. Ihr Zittern schürte sein Verlangen. Durch den Stoff ihres Kleides hindurch umkreiste sein Daumen die Knospe ihrer Brust, die sich sofort erhärtete. Sein Mund kehrte zu ihrem zurück. Von seinem hungrigen Kuss überwältigt, glaubte sie dahinzuschmelzen. Durch ihren ganzen Körper strömten lodernde Wellen …
Abrupt ließ er sie los und trat zurück. Beide Hände an seinen Kopf gepresst, rang er nach Fassung und suchte seine Leidenschaft zu zügeln.
"Verdammt!" fluchte er leise. "Nun verstehe ich, warum dieser Ritter alles für seine Lady wagen wollte … Ich habe mich schon einmal entschuldigt, Olivia. Doch das ist sinnlos, wenn ich mir immer wieder solche Freiheiten erlaube – und mich nicht beherrschen kann …"
Die Finger fest ineinander geschlungen, bemühte sie sich, ihre eigenen Gefühle unter Kontrolle zu bringen. "Du musst dich nicht entschuldigen." Unfähig, seinem Blick standzuhalten, senkte sie die Wimpern und flüsterte: "Um ehrlich zu sein – ich fand deine Zärtlichkeiten sehr angenehm."
Ohne ein weiteres Wort raffte sie ihre Röcke, rannte aus dem Zimmer, und St. Leger starrte ihr entgeistert nach.
Obwohl graue Wolken den Himmel verdeckten und die Luft kühler war als an den vorangegangenen Tagen, suchte Olivia Zuflucht im Garten. Sicher würde ihr eine Wanderung in der frischen Brise gut tun – und die fiebrige Hitze aus ihrem Körper und ihrem Herzen verscheuchen. Viel zu kühn war sie gewesen, das wusste sie – nun, kühn wohl kaum, denn sie neigte eher zur Scheu. Sie hatte einfach nur die Wahrheit ausgesprochen. Aber in der vornehmen Gesellschaft durfte man die Wahrheit nur selten sagen. Zweifellos hatte sie Lord St. Leger mit ihrem Geständnis schockiert. Oft genug hatte man ihr erklärt, es sei nicht
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