Immorality Engine
1
Der weiche Lehm schmatzte zäh und klebrig unter den
Stiefeln, als wollte er ihn in die
glitschigen, feuchten Tiefen
hinabziehen, hinunter zu den Leichen und den Särgen der Toten. Newbury
verlagerte sein Gewicht und suchte nach einem halbwegs
trockenen Platz, auf den er sich stellen konnte. Ringsherum war der Boden von
Schlamm bedeckt, und der Dauerregen, der ihm auf die Hutkrempe trommelte, machte die Sache nicht besser. Von der warmen
Erde stiegen Dunstschwaden auf, ringelten sich um den Wald aus schiefen Grabsteinen,
klammerten sich an die Zweige der Ãste und Büsche und hüllten die ganze Szene
in ein gespenstisches, unwirkliches Gewand. Einige Gestalten bewegten sich
darin wie Schatten. Alle trugen Schwarz, die Gesichter blieben hinter Schleiern
oder vors Gesicht geschlagenen Händen verborgen.
In der Nähe, unter den schützenden
Ãsten einer alten Eiche, pickten die Krähen an dem zähen Kadaver eines
toten Fuchses. Newbury beobachtete sie mit grimmiger Faszination.
Rings um das Häuflein der Trauergäste hatten uniformierte Bobbys als
gespenstische Wachtposten Aufstellung genommen. Im Morgendunst waren sie kaum
zu erkennen. Ihre Aufgabe war es, herumstrolchende Wiedergänger und andere
unangenehme Zeitgenossen abzuwehren, die sich etwa im Zwielicht herumtreiben
mochten.
Die Friedhöfe waren mittlerweile ein beliebtes Jagdrevier dieser
Wesen, die bald sterben mussten. Newbury fragte sich, ob die Wiedergänger sich
den kürzlich Bestatteten irgendwie besonders verbunden fühlten oder ob sie
einfach nur die warmen Körper verlockend fanden. An diesem stillen Ort
versammelten sich ahnungslose Menschen und bemerkten in ihrer Trauer nicht die
torkelnden, schlurfenden, von der Seuche gezeichneten Fleischfresser. Seiner
Ansicht nach spielte es keine groÃe Rolle. Er war nicht überzeugt, dass ein
paar Bobbys die Wesen abhalten konnten, wenn diese sich wirklich zum Angriff
entschlossen.
Nacheinander betrachtete er die Gesichter der kleinen Gruppe. Nur
sechs Trauergäste nahmen an der Beerdigung teil. Seiner Ansicht nach hätten
mehr kommen müssen. Er betrachtete die reglosen Gestalten, die unter dem
Starkregen die Köpfe einzogen. Sie hatten sich versammelt, um Amelia Hobbes zu
beerdigen.
Newbury bemühte sich, dem Vikar zuzuhören, der mit ebenso feierlicher wie monotoner Stimme die Andacht am
Grab leitete. Neben ihm stand ein kleiner Messdiener, der für den Priester
einen Schirm hielt und selbst praktisch ungeschützt dem Regen ausgesetzt war.
Er war bis auf die Haut durchnässt, und das ursprünglich weiÃe Gewand war mit
Erde und Schlamm vollgespritzt. Neben dem offenen Grab lag die ausgehobene
Erde, die nach der Zeremonie wieder verfüllt werden sollte. Der frische,
feuchte Geruch stieg Newbury in die Nase.
Ihm gegenüber befanden sich Mr. und Mrs. Hobbes, die Eltern des
toten Mädchens und der älteren Schwester, die als Assistentin für Newbury
arbeitete. Miss Veronica Hobbes stand neben ihm und war nicht bereit, den Blick
zu heben, um sich dem vorwurfsvollen Starren der Eltern auszusetzen. Im Moment
waren ihre Gesichter jedoch in den treibenden Nebelschwaden nicht zu erkennen.
Newbury hatte zuvor mit ihnen gesprochen und vor allem Erleichterung in den
Blicken entdeckt. Ja, sie zeigten sich erleichtert, da die Bürde ihrer
eigenartigen, gequälten Tochter, die in die Zukunft blicken konnte, endlich von
ihnen genommen war. Newbury hatte ihnen die Hände geschüttelt, kondoliert und
sich dabei bemüht, nicht zu streng über sie zu urteilen. Doch seit er
beobachtet hatte, wie sie sich Veronica gegenüber
benahmen, konnte er seine rechtschaffene Empörung nicht mehr verhehlen.
Ihm war klar, dass diese Leute das gröÃte Augenmerk stets auf sich selbst, auf
ihr Vermögen und ihr Ansehen richteten und die Kinder als bloÃen Zierrat
betrachteten, den es bestenfalls zu bewundern und zu bestaunen galt. Die kranke
Amelia hatten sie freilich vor den neugierigen Blicken der feinen Gesellschaft
verborgen und von einem Heim und einem Krankenhaus in das nächste geschickt,
bis Newbury vor Kurzem persönlich eingegriffen, Ihre Majestät die Königin um
eine Gunst gebeten und dafür gesorgt hatte, dass das arme Mädchen in die
private Obhut von Dr. Lucien Fabian, dem Leibarzt der Königin, überstellt
wurde.
Fabians Bemühungen hatten sich als katastrophaler Fehlschlag
erwiesen, doch wie Newbury
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