Der Schatz von Blackhope Hall
weder die Intelligenz noch das Geschick, um Visionen herbeizuzaubern, uns Träume zu suggerieren oder zu inszenieren, was an diesem Abend geschah. Aber wenn sie ihre Hände nicht im Spiel hatte – wie kam es dazu? Ist es jemand anderer, der das alles bewirkt? Vielleicht Babington? Oder gibt es noch jemanden, womöglich außerhalb des Hauses, der die Fäden zieht?"
"Oh Stephen, ich weiß es nicht. Und ehrlich gesagt, ich fürchte mich …"
Seine Gedanken kehrten zu der Séance zurück – Howard Babingtons gespenstische Stimme, das hasserfüllte Gesicht, das unkontrollierte Zittern und Zucken, der Zusammenbruch. Schließlich nickte er. "Du hast Recht, Olivia, es ist beängstigend. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, was wir unternehmen sollen."
Rastlos wanderte Madame Valenskaya in ihrem Schlafzimmer umher, die Hände aneinander gepresst. Seit Mr. Babingtons Anfall fand sie keine Ruhe.
"Das war einfach grauenhaft", zischte sie und warf ihrer Gefährtin einen finsteren Blick zu. "In meinem ganzen Leben habe ich so etwas noch nicht gesehen. Und ich hoffe, ich muss dergleichen nie wieder ertragen."
"Reg dich nicht auf", bat die andere Frau in sanftem Ton. "Auch ich habe nicht damit gerechnet. Aber es wird uns Vorteile verschaffen. Solange du den Mund hältst. Babingtons Auftritt müsste Lady St. Leger veranlassen, alles zu tun, was ihr die 'Geister' befehlen."
"Und wenn sie nicht an das Gold herankommt? Du hast gesagt, es gehört ihrem Sohn."
"Keine Bange, er wird's herausrücken. Sogar er ist heute Abend erschrocken. Das habe ich bemerkt. Und bevor seine Mutter vor lauter Furcht den Verstand verliert, wird er uns die Truhe schenken. Nicht zuletzt, um dich loszuwerden. Er hasst dich. Deshalb wird er den Wunsch der Geister erfüllen."
Das missgelaunte Medium schnaubte ungläubig. "Da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe genug Männer von Lord St. Legers Kaliber kennen gelernt. Diesen hartgesottenen Typen kann man keine Angst einjagen. Und sie lassen sich auch nicht manipulieren."
"Wenn du nicht die Nerven verlierst, wird es klappen."
"Was ist eigentlich so besonders wertvoll am Märtyrerschatz? Auch ohne dieses ganze Getue würde ich Lady St. Leger Geld und Juwelen entlocken, wann immer ich sie mit ihrem 'Roddy' reden lasse." Voller Spott sprach Madame Valenskaya den Kosenamen aus, den die Dowager Countess ihrem älteren Sohn gegeben hatte. "Warum versuchen wir, uns diese Truhe anzueignen?"
"Das musst du nicht wissen", erwiderte die andere Frau in scharfem Ton.
"Wahrscheinlich lohnt sich die Mühe gar nicht", jammerte Madame Valenskaya. "Ich will nach London zurück."
"Daran darfst du nicht einmal denken. In dieses Projekt habe ich zu viel Zeit und Mühe investiert. Erst habe ich diesen idiotischen Babington als Mitarbeiter gewonnen, dann half ich dir bei deinen Täuschungsmanövern … Soll das alles vergeblich gewesen sein, nur weil du feige bist? Du bleibst hier und hältst die Séancen ab, bis wir bekommen haben, was wir wollen. Verstanden?"
"Ja, ja, schon gut", gab sich Madame Valenskaya widerstrebend geschlagen. "Ich bleibe hier, und ich werde nichts verraten."
"So gefällst du mir viel besser." Durchdringend starrte die Frau das Medium an. Dann verließ sie das Zimmer.
Madame Valenskaya schloss die Tür hinter ihr und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Eine Zeit lang lehnte sie seufzend an der Wand, bevor sie das Zimmer durchquerte und eine Schublade öffnete. Ungeduldig wühlte sie darin, und schließlich zog sie triumphierend eine Flasche hervor. Während sie sich ein großzügiges Quantum Gin einschenkte, zitterten ihre Hände so heftig, dass die Flasche klirrend gegen das Glas stieß. Sie nahm einen großen Schluck und erschauerte wohlig. In ihrem Magen brannte der Alkohol wie Feuer, und bald fühlte sie sich besser.
In dieser Nacht träumte Olivia von der Frau, die durch die Wand gegangen war. Lady Alys war wie im ersten Traum gekleidet – in eine schlichte blaue Tunika über einem Unterkleid. Aber diesmal trug sie einen Schleier über dem Haar. Sie faltete Kleidungsstücke zusammen und legte sie in eine Truhe, über die sie sich immer wieder anmutig beugte. Nach einer Weile drehte sie sich um und lächelte Olivia an. "Es ist sehr wichtig, ein kostbares Eigentum sicher zu verwahren", erklärte sie mit leiser, sanfter Stimme.
Dann ergriff sie eine goldene Kassette, etwa einen Fuß lang und sieben oder acht Zoll hoch. Entlang der Kanten waren Ornamente eingraviert. Sie
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