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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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hasse alle merkwürdigen Menschen, und du bist der seltsamste kleine Junge von der Welt.« Jean-Marie schien eine Weile tief nachzudenken, hob dann den Kopf und sah den Doktor mit einem Blick aufrichtiger Wißbegierde an. »Sind Sie denn aber nicht auch ein recht seltsamer Herr?« fragte er.
    Der Doktor warf seinen Stock weg, sprang auf den Jungen zu, drückte ihn an die Brust und küßte ihn auf beide Wangen. »Göttlicher, göttlicher Schlingel!« schrie er. »Welch ein Morgen, welch eine Stunde für einen zweiundvierzigjährigen Theoretiker! Nein,« fuhr er zum Himmel gewendet fort, »ich wußte nicht, daß solche Jungen existieren; ich ahnte nicht, daß ihresgleichen erschaffen waren; ich zweifelte an meiner Rasse, – und jetzt! Es ist,« fügte er hinzu und hob den Stock auf, »es ist, als hätten sich zwei Liebende gefunden. Ich habe in einem Augenblick der Begeisterung meinen Lieblingsstock beschädigt. Der Schaden ist jedoch gering.« Er entdeckte, daß der Junge ihn offensichtlich erstaunt, verlegen und erschrocken anblickte. »Hallo!« sagte er, »warum siehst du mich so an? Donnerwetter, ich glaube gar, der Junge verachtet mich. Verachtest du mich. Junge?«
    »Ach nein«, erwiderte ernsthaft Jean-Marie; »ich verstehe nur nicht.«
    »Sie müssen mich entschuldigen, Herr«, entgegnete gesetzt der Doktor, »ich bin ja noch so jung. Hol' ihn der Teufel!« fügte er zu sich selbst hinzu, begab sich wieder aus seinen Platz und beobachtete den Jungen ironisch. »Er hat mir meine Morgenruhe gestört«,dachte er. »Ich werde den ganzen Tag über nervös sein und mir während der Verdauung ein Fieberchen holen. Fassen wir uns!« Damit wandte er sich mit einiger Willensanstrengung, in der er sich seit langem geübt hatte, von dem ab, was ihn beschäftigte, und ließ seine Seele in beschaulicher Betrachtung des Morgens in die Ferne schweifen. Kritisch sog er die Luft ein, wie ein Kenner den Wein, und atmete sie langsam mit hygienischem Behagen wieder aus. Er zählte die Wölkchen am Himmel und tat es den Vögeln nach, die um den Kirchturm kreisten. In weitem Bogen schossen die Gedanken zum Himmel, verharrten ein Weilchen in der Schwebe, schlugen in der Phantasie luftige Purzelbäume oder regten im Winde die imaginären Flügel. Und so gewann er den Frieden der Seele und seine animalische Ruhe zurück, ward sich seiner Glieder, seiner Augen bewußt, bewußt, daß die Luft sich kühl wie eine Frucht an seinen Gaumen legte, und begann schließlich vollkommen entzückt zu singen. Der Doktor kannte nur eine einzige Melodie: ›Marlborough s'en va-t-en guerre‹, und auch mit der stand er auf reinem Grußfuß. Seine musikalischen Exkursionen waren daher stets nur Momenten der Einsamkeit und vollkommenen Glücks vorbehalten.
    Ein schmerzlicher Ausdruck auf dem Gesichte des Jungen rief ihn unvermittelt zur Erde zurück. »Was hältst du von meinem Singen?« fragte er, mitten in einer Zeile innehaltend, und wiederholte, nachdem er eine Weile vergeblich auf Antwort gewartet hatte, gebieterisch: »Was hältst du davon?«
    »Es gefällt mir nicht«, stammelte Jean-Marie.
    »Na, Na!« rief der Doktor. »Kannst du etwa selber singen?«
    »Besser als das schon«, antwortete der Junge.
    Der Doktor starrte ihn einen Augenblick versteinert an. Er fühlte, daß er sich ärgerte, mußte über sieh selbst erröten und wurde folglich noch ärgerlicher. »Wenn das die Art ist, in der du mit deinem Herrn redest!« meinte er schließlich achselzuckend und gestikulierend.
    »Mit ihm rede ich überhaupt nicht«, erwiderte der Junge. »Ich mag ihn nicht leiden.«
    »Mich magst du also leiden?« versetzte Doktor Desprez bissig und mit ungewöhnlichem Eifer.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Jean-Marie.
    Der Doktor erhob sich. »Ich wünsche dir guten Morgen«, sagte er. »Du bist zuviel für mich. Vielleicht hast du Blut in den Adern, vielleicht himmlischen Chor, vielleicht kreist auch nichts Gröberes als respirable Luft in dir. Von einem bin ich jedenfalls unauslöschlich überzeugt: du bist kein menschliches Wesen. Nein, Junge,« – er drohte ihm mit dem Stock – »ein menschliches Wesen bist du nicht. Merke es dir, grab es in dein Gedächtnis ein. – Ich bin kein menschliches Wesen, habe keinen Anspruch darauf, ein menschliches Wesen zu sein – ich bin ein Traum, ein Engel, ein Akrostichon, ein Wahngebilde, kurz, was du willst, nur kein menschliches Wesen. Und hiermit genehmige meinen untertänigsten Gruß und gehab dich wohl!«
    Mit

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