Der Schatz von Franchard
kannst.«
»Liebes Kind,« entgegnete der Doktor, »wir hätten ja welche adoptieren können.«
»Niemals!« rief Madame. »Niemals mit meiner Zustimmung,Doktor. Ein Kind von meinem eigenen Fleisch und Blut, gut. Aber mir eines anderen Menschen Fehltritt aufladen, dazu, mein lieber Freund, bin ich zu vernünftig.«
»Sehr richtig,« erwiderte der Doktor. »Beide waren wir zu vernünftig. Und dein Verstand entzückt mich um so mehr, als – als –.« Er sah ihr scharf ins Gesicht.
»Als was?« fragte sie in dem leisen Vorgefühl kommender Gefahr.
»Als ich jetzt das richtige Wesen gefunden habe,« entgegnete mit Festigkeit der Doktor, »und es noch heute nachmittag adoptieren werde.«
Anastasie sah ihn wie durch einen Nebel an. »Du hast den Verstand verloren,« sagte sie, und in ihrer Stimme war ein Ton, der nichts Gutes verhieß.
»Durchaus nicht, meine Liebe,« war seine Antwort; »ich bin in vollem Besitz meiner Geisteskräfte. Zum Beweis: statt meine Inkonsequenz bemänteln zu wollen, habe ich sie im Gegenteil, um dich vorzubereiten, erst recht betont. Du wirst darin, wie ich glaube, den Philosophen wiedererkennen, der das überschwengliche Glück hat, dich Gattin zu nennen. Tatsache ist, daß ich bisher stets ohne den Zufall gerechnet habe. Ich glaubte niemals, einen Sohn von mir finden zu können. Gestern nacht habe ich ihn aber gefunden. Beunruhige dich nicht unnötig, meine Liebe; er hat, soviel ich weiß, nicht einen einzigen Tropfen Blut von mir. Sein Geist, mein Liebling, sein Geist ist es, der mich Vater nennt.«
»Sein Geist!« wiederholte sie mit halb hysterischem, halb verächtlichem Lachen. »Wirklich, sein Geist!Henri, ist dies ein blöder Scherz, oder bist du toll geworden? Sein Geist! Und wie steht es mit dem meinigen?«
»Das,« versetzte der Doktor achselzuckend, »das ist der wunde Punkt. Er wird meiner ewig schönen Anastasie im höchsten Maße antipathisch sein. Sie wird ihn niemals verstehen; er wird sie niemals verstehen. Du hast den animalischen Teil meiner Natur geheiratet, mein Herz; meine geistige Affinität habe ich in Jean-Marie gefunden und zwar in so hohem Maße, daß ich, um die Wahrheit zu sagen, mitunter selbst vor ihm Angst habe. Du hast zweifellos sofort begriffen, daß ich hiermit für dich ein Unglück angekündigt habe. Bitte,» versetzte er, in einen Ton aufrichtiger Besorgnis fallend, »bitte, brich nicht nach dem Essen in Tränen aus, Anastasie. Du wirst entschieden an Verdauungsstörungen leiden.«
Anastasie faßte sich. »Du weißt, wie gerne ich dir in allem nachgebe,« sagte sie, »in allen vernünftigen Dingen. Aber in diesem Punkt ...«
»Mein liebes Herz,« unterbrach sie der Doktor hastig, um einer Weigerung zuvorzukommen, »wer hatte den Wunsch, von Paris fortzuziehen? Wer hat mich gezwungen, die Karten aufzugeben, die Oper, den Boulevard, meine gesellschaftlichen Beziehungen, kurz alles, was vor unserer Bekanntschaft mein Leben ausmachte? Bin ich dir treu gewesen? Bin ich dir gefolgt? Habe ich mein Schicksal nicht mit Heiterkeit ertragen? Sei ehrlich, Anastasie, habe ich nicht ein Recht, jetzt meinerseits Forderungen zu stellen? Ich habe es, und du weißt es auch. Ich fordere meinen Sohn.«
Anastasie fühlte ihre Niederlage und zog sofort die Flagge ein. »Du brichst mir noch das Herz,« seufzte sie »Durchaus nicht,« sagte er. »Du wirst dich vier Wochen lang ein wenig unbehaglich fühlen, so wie ich es tat, als ich nach diesem abscheulichen Dorfe gebracht wurde; dann werden dein bewunderungswürdiger Verstand und deine gute Laune triumphieren, und ich sehe dich bereits zufrieden wie immer deinen Gatten zum glücklichsten aller Sterblichen machen.«
»Du weißt, daß ich dir nichts abschlagen kann,« sagte sie mit letztem, schwindendem Widerstande, »nichts, das dich wirklich glücklich macht. Wird es aber hiermit auch der Fall sein? Bist du dessen sicher, lieber Mann? Du sagst, du hättest ihn erst gestern nacht gefunden. Er kann ein ausgemachter Schwindler sein.«
»Ich glaube nicht,« erwiderte der Doktor. »Aber glaube ja nicht, daß ich so unvorsichtig bin, ihn sofort zu adoptieren. Ich bin, wie ich mir schmeichle, ein vollendeter Weltmann; ich habe alle Möglichkeiten ins Auge gefaßt. Mein Plan rechnet mit ihnen allen. Ich nehme den Burschen als Stalljungen auf. Maust er, murrt er, will er wieder fort, so werde ich einsehen, daß ich mich geirrt habe. Ich werde ihn alsdann nicht als einen Sohn von mir anerkennen und ihn wieder auf die
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