Der Scheich
Finsternis.
Sekundenlang herrschte tiefes Schweigen. Dann lehnte sich Diana seufzend zurück. «Das Kaschmir-Lied - es erinnert mich an Indien. Letztes Jahr, in Kaschmir, hörte ich einen Mann dieses Lied singen. Aber nicht so. Was für eine wundervolle Stimme! Wer mag das sein?»
Arbuthnot blickte sie an, erstaunt über ihr plötzliches Interesse, ihr lebhaftes Mienenspiel. «Vorhin haben Sie mir erklärt, Sie hätten keine Gefühle. Aber der Gesang eines Unbekannten bewegt Ihr Gemüt. Wie läßt sich das eine mit dem anderen vereinbaren?» fragte er fast ärgerlich.
«Ist es ein Gefühl, wenn ich das Schöne schätze?» forderte sie ihn heraus und sah ihn unverwandt an. «Gewiß nicht. Die Musik, die Kunst, die Natur - alles Schöne gefällt mir. Mit Gefühlen hat das nichts zu tun. Ich ziehe eben schöne Dinge den häßlichen vor. Ganz einfach. Aus diesem Grund weiß ich sogar hübsche Kleider zu schätzen», fügte sie lachend hinzu.
«Oh, ja, Sie sind die bestangezogene Frau von Biskra», räumte er ein. «Ist das kein Zugeständnis an die weiblichen Gefühle, die Sie doch so ablehnen?»
«Keineswegs. Nicht nur Frauen interessieren sich für ihre Garderobe. Sicher, ich mag hübsche Kleider. Und wie ich zugeben muß, denke ich mir sehr oft Farbkompositionen aus, die einigermaßen zu meinem gräßlichen Haar passen. Aber glauben Sie mir - meine Schneiderin hat es viel leichter als Aubreys Schneider.»
Nun schwieg sie wieder und hoffte, der Sänger würde noch einmal seine Stimme erheben. Aber es blieb still. Nur eine Zikade zirpte ganz in der Nähe. Diana drehte sich in ihrem Sessel um und spähte in die Richtung, aus der die leisen, flirrenden Töne heranwehten. «Hören Sie doch! Was für ein fröhliches kleines Ding! Auf dieses Gepiepse achte ich immer zuerst, wenn ich in Port Said ankomme. Darin erkenne ich die Melodie des Orients.»
«Widerliche kleine Biester!» fauchte Arbuthnot gereizt.
«In den nächsten vier Wochen werden mir diese kleinen Biester freundliche Gesellschaft leisten ... Oh, Sie ahnen ja gar nicht, was mir diese Reise bedeutet! Ich liebe die Wildnis. Wenn ich in Amerika und Indien kampierte, war das die schönste Zeit meines Lebens. Und die Wüste fasziniert mich noch mehr. Dieser Monat wird meine kühnsten Träume erfüllen.»
Mit einem freudigen Auflachen erhob sie sich und sah Arbuthnot abwartend an. Nur widerstrebend folgte er ihrem Beispiel. «Diana, ich wünschte, Sie würden mir erlauben, Sie zu küssen!» stieß er verzweifelt hervor. «Nur ein einziges Mal!»
Ärgerlich starrte sie ihn an. «Nein. Das steht nicht in unserem Vertrag. Noch nie in meinem Leben bin ich geküßt worden. Das gehört zu den Dingen, von denen ich nichts verstehe.» Ihre Stimme klang fast wütend.
Gemächlich schlenderte sie zum Hotel, während er voller Unruhe neben ihr herging. Hatte er mit seinem Gefühlsausbruch ihre Freundschaft zerstört? Aber auf der Veranda blieb sie stehen und fragte in jenem kameradschaftlichen Ton, den er so gut kannte: «Sehen wir uns morgen?»
Da erriet er ihre Absicht. Was zwischen ihnen geschehen war, sollte nie wieder erwähnt werden. Das Angebot der Freundschaft galt immer noch. Aber nur zu ihren Bedingungen. Mühsam riß er sich zusammen. «Ja. Auf den ersten Meilen werden wir Sie begleiten, etwa ein Dutzend Mann, um Sie gebührend zu verabschieden.»
Lachend schüttelte sie den Kopf. «Oh, darauf kann ich mir wirklich was einbilden! Wahrscheinlich werde ich vier Wochen in der einsamen Wüste brauchen, um wieder von meinem hohen Roß herunterzufinden», fuhr sie leichthin fort und betrat den Ballsaal.
Ein paar Stunden später zog sie sich in ihr Zimmer zurück, schaltete das elektrische Licht ein und warf ihre Handschuhe und das Tanzprogramm auf einen Stuhl. Niemand erwartete sie, denn die Zofe hatte auf das Ansinnen, ihre Herrin in die Wüste zu begleiten, einen Nervenzusammenbruch erlitten. Deshalb hatte Diana das Mädchen mit dem Großteil des Gepäcks nach Paris geschickt.
Nun stand sie in der Mitte des Raums, inspizierte das Ergebnis ihrer Reisevorbereitungen und lächelte zufrieden. Alles war in bester Ordnung. Die letzten Arrangements hatte sie schon vor einigen Tagen getroffen. Bald sollte die Kamelkarawane mit der Zeltausrüstung aufbrechen, einige Stunden vor den Mayos und Mustafa Ali, dem anerkannten Führer, den ihr die französischen Behörden widerwillig empfohlen hatten. Zwei große Koffer, die Diana selbst mitnehmen wollte, standen geöffnet und bereits
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