Der Scheich
Ahmeds Armen war sie an jenem Tag heimgekehrt, an dem sie zu fliehen versucht und dann ihr Glück gefunden hatte. Welch ein schmerzlicher Unterschied zwischen jenem Ritt - und dem Weg, den sie am nächsten Morgen zurücklegen mußte!
Diana biß sich auf die zitternde Unterlippe, ihre Finger umklammerten den Revolvergriff noch fester. Plötzlich blitzte ein wildes Funkeln in ihren traurigen Augen auf. Eine Trennung konnte sie nicht verkraften. Wozu auch? Was wäre das Leben ohne ihn? Nichts. Weniger als nichts. Niemals würde sie einem anderen Mann gehören. Und niemand brauchte sie. Nicht einmal Aubrey, der sich jeden Wunsch erfüllte und in seiner Selbstsucht vollauf zufrieden war. Eines Tages würde er heiraten, zum Wohle der Familie. Oder vielleicht war er schon verheiratet, falls er in Amerika eine Frau gefunden hatte, die sich wegen seines altehrwürdigen Namens und seines Reichtums mit seinem Egoismus abfand. Diana durfte mit ihrem Leben machen, was sie wollte. Wenn es ein Ende fand, würde niemand darunter leiden. Ihr Bruder würde sogar profitieren. Und Ahmed? Sie betrachtete ihn durch einen Tränenschleier.
Langsam und mit sicherer Hand nahm sie die Waffe vom Tisch, zog sie verstohlen hinter ihrem Rücken hervor und betrachtete leidenschaftslos den dunklen Stahl. Sie hatte keine Angst, verspürte nur eine überwältigende Müdigkeit, die Sehnsucht nach Ruhe, die dem Brennen in ihrer Brust und dem Pochen in ihrem Schädel ein Ende bereiten würde. Nur ein kurzer Knall, und alles - auch ihr Kummer - würde vorbei sein. Oder doch nicht? Die Angst vor dem Jenseits stieg in ihr auf. Was erwartete sie im nächsten Leben? Doch diese Furcht verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war, denn in der Schattenwelt würde ihr jemand begegnen, der sie verstehen würde - ihr Vater. Auch er hatte sich in seinem Unglück erschossen, nachdem die Mutter nach Dianas Geburt gestorben war. Entschlossen hielt sie sich den Revolver an die Schläfe.
Kein Laut verriet, was hinter ihm geschah. Aber irgend etwas - vielleicht der sechste Sinn des Wüstensohns - warnte den Scheich vor der Gefahr. Blitzschnell fuhr er herum, stürmte zu Diana und packte ihre Hand, als sie gerade abdrückte. Die Kugel pfiff über ihren Kopf hinweg, ohne Schaden anzurichten. Das Gesicht aschfahl, entwand er ihr die Waffe und schleuderte sie in die Nacht hinaus.
Eine Weile starrten sie sich schweigend an, dann entglitt sie stöhnend seinem Griff und brach schluchzend vor seinen Füßen zusammen. Mit einem heiseren Schrei bückte er sich, hob sie hoch, drückte ihre bebende Gestalt zärtlich an seine Brust und schmiegte die Wange in ihre rotgoldenen Locken. «Mein Gott, Mädchen, hör zu weinen auf!» bat er mit zitternder Stimme. «Das ertrage ich nicht!»
Doch sie konnte die Tränen nicht unterdrücken. Ängstlich preßte er sie fester an sich und bedeckte ihr schimmerndes Haar mit Küssen. «Diane, Diane!» flüsterte er flehend. « Mon amour, ma bien-aimée! Erspar mir deine Tränen. Ich liebe dich, ich bete dich an, und du wirst bei mir bleiben, für immer und ewig.»
In ihrer Benommenheit war sie unfähig, ihre übermächtigen Gefühle zu bewältigen. Sie lehnte an Ahmeds Brust, und die Tränen flossen unaufhaltsam. Als er sah, was er angerichtet hatte, zuckten seine Lippen. Er hob sie hoch, trug sie zum Diwan, und als er ihren weichen, schlanken Körper spürte, floß das Blut schneller durch seine Adern. Vorsichtig legte er sie nieder, kniete sich neben sie und nahm sie in die Arme. Dabei flüsterte er leidenschaftliche Liebesworte. Allmählich verstummte das Schluchzen, und sie lag reglos da, so still und bleich, daß er von kalter Angst erfaßt wurde. Er wollte schon aufstehen, um eine Arznei zu holen. Aber sie klammerte sich sofort an ihn. «Ich brauche nichts - nur dich», beteuerte sie fast unhörbar.
Da zog er sie noch fester an sich und legte einen Finger unter ihr Kinn. Ihre Augen waren geschlossen, die feuchten dunklen Wimpern ließen die blassen Wangen noch bleicher erscheinen. Zärtlich küßte er ihre Lider. «Diane, willst du mich nie wieder ansehen?» Die Frage klang fast demütig.
Langsam schlug sie die Augen auf und betrachtete ihn, immer noch furchtsam. «Schickst du mich auch nicht weg?» wisperte sie wie ein verschrecktes Kind.
Beinahe wäre er selbst in Tränen ausgebrochen. Zärtlich küßte er ihre bebenden Lippen. «Niemals!» versprach er. «Jetzt kann ich dich nicht mehr gehenlassen. Oh, Gott! Wenn du wüßtest, wie
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