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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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das Mädchen zu.
     
    Zum ersten Mal waren in Tilo Zweifel wach geworden. In den vergangenen Sitzungen mit Mina hatte er eine neue Persönlichkeit kennen gelernt, die er noch nicht einordnen konnte. Er wusste nicht einmal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Diese Persönlichkeit hatte Ähnlichkeit mit Cleo, aber sie trug eine noch viel größere Wut in sich.
    Sie hatte Tilo ihren Namen nicht genannt und kaum mit ihm geredet. Es war Tilo so vorgekommen, als wäre sie sich nicht darüber im Klaren, ob sie mit ihm zusammenarbeiten wollte oder nicht.
    »Ich halte nichts von Psychoanalyse.«
    Sie hatte ihm den Satz vor die Füße gespuckt.
    »Warum nicht?«
    Ihre Lippen hatten sich verächtlich gekräuselt. »Das ist was für Schwächlinge.«
    Aufmerksam hatte Tilo ihr Gesicht gemustert. Das Kinn schien weniger rund zu sein, die Wangen wirkten schmaler, die Augen verengt. Der Blick dieser Persönlichkeit war kühl und unbeteiligt. Aber Tilo spürte, dass er eine ungezügelte Feindseligkeit versteckte und eine tiefe Bitterkeit.
    »Das sehe ich anders.«
    »Logisch!«
    Sie lachte. Kurz und zynisch. Tilo kannte dieses Lachen nicht.
    »Was wollen Sie von mir?«
    Unwillkürlich hatte er die fremde Persönlichkeit gesiezt. Vielleicht um Abstand zu wahren.
    »Ich? Von Ihnen?« Sie lachte wieder, lauter diesmal. »Überschätzen Sie sich da nicht ein bisschen? Ich kriege meine Sachen allein geregelt. Dazu brauch ich keinen, erst recht nicht Sie.«
    Ihre Aggressionsschwelle war nicht besonders hoch. Zornig starrte sie ihn an. Es war allein ihrer Selbstbeherrschung zu verdanken, dass sie nicht zum Schlag ausholte.
    »Warum sind Sie hier?«
    Tilo hatte nicht vor, sich beirren zu lassen. Er unterdrückte die feinen Angstsignale, die er spürte.
    Seine Hartnäckigkeit trieb sie in die Enge. Als sie antwortete, war ihre Stimme bedrohlich ruhig. »Ich habe das Gefühl, ich werde gebraucht.«
    Nach diesem ersten Zusammentreffen war Tilo dieser neuen Persönlichkeit noch ein paarmal begegnet. Er hatte den Verdacht gehabt, dass sie ihn kontrollierte, und ihm war unbehaglich dabei zumute gewesen. Jedes Mal hatte er sie nach ihrem Namen gefragt und jedes Mal war sie ihm ausgewichen.
    Zu einem echten Gespräch war sie nicht bereit gewesen. Tilo hatte den Eindruck gewonnen, dass sie einen Plan entwickelt hatte, dessen Umsetzung sie gezielt vorbereitete. Inzwischen fragte er sich, ob der Plan darin bestanden haben könnte, Mina fortzubringen und so die Therapie zu unterbrechen.
    Wer behauptete denn, dass es keine Persönlichkeiten in Mina gab, die mit dem Vater kooperiert hatten? Persönlichkeiten womöglich, die mit Minas Verhalten ganz und gar nicht einverstanden waren?
    Seine Augen brannten. Er war hundemüde. Nur noch ein paar Stunden bis zum Morgen. Dann würde er Imke wieder begegnen. Und er fragte sich, was er zu ihr sagen sollte.
     

Kapitel 15
    Der Regen war stärker geworden. Es war ungemütlich draußen. Hoffentlich, dachte Merle, ist Mina irgendwo untergekrochen, wo es warm ist. Vielleicht doch bei ihrer Mutter. Aber sie konnte es sich nicht vorstellen. Mina hatte ihre Mutter von sich aus nie erwähnt. Auf Fragen hatte sie knapp und ausweichend geantwortet. Ein einziges Mal war sie sehr deutlich geworden.
    »Ich habe keine Mutter mehr«, hatte sie gesagt.
    Merle, die selbst kaum noch eine Beziehung zu ihren Eltern hatte, war erschrocken gewesen. Minas Worte hatten so hart geklungen und so endgültig. Ihr Gesicht hatte keine Regung gezeigt.
    Tilo fuhr an den Straßenrand und schaltete Motor und Scheinwerfer aus. »Kurze Besprechung«, sagte er. »Dieses konfuse Umherfahren bringt uns nicht weiter.«
    Der Regen prasselte auf das Wagendach und lief in kleinen, glitzernden Bächen an den Scheiben hinunter. Merle fühlte sich rundum eingehüllt. Und seltsam geborgen.
    »Mina kennt hier in der Gegend alle möglichen Leute«, überlegte Jette laut. »Gibt es einen darunter, an den sie sich wenden würde, wenn sie Probleme hätte?«
    Tilo rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er sah erschöpft aus. »Da fallen einem zuerst die Wahren Anbeter Gottes ein, aber die meisten schätzt sie nicht besonders. Vor  einigen fürchtet sie sich sogar. Ich glaube nicht, dass sie einen von ihnen aufsuchen würde. Außer vielleicht Ben. Mit ihm war sie sehr vertraut.«
    »Vielleicht zu vertraut«, sagte Jette. »Das kann in extremen Situationen ins Gegenteil umschlagen.«
    Extreme Situationen, dachte Merle mit leiser Ironie. Gibt

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