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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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es denn auch andere?
    Sie schwiegen eine Weile und jeder grübelte für sich allein.
    »Hat einer Bens Handynummer?«, fragte Jette dann.
    Keiner hatte sie. Wieder breitete sich Schweigen aus.
    »Wir sollten nichts überstürzen«, sagte Merle schließlich. »Mina hat den Kontakt zu allen aus ihrem früheren Leben abgebrochen. Da können wir nicht mitten in der Nacht Leute aus dem Bett trommeln, die wir nicht mal kennen.«
    »Lasst uns zur Fabrik fahren«, schlug Tilo vor, »und uns gründlich auf dem Gelände umsehen. Sollten wir Mina dort allerdings nicht finden, müssen wir die Polizei informieren.«
    »Polizei?« Jette warf Merle einen Hilfe suchenden Blick zu.
    »Ich kann diese Verantwortung nicht länger tragen. Versteht das doch. In ihrem augenblicklichen Zustand ist Mina für sich selbst eine Gefahr.«
    Merles Augen füllten sich mit Tränen. Als sie das letzte Mal eine Polizeistation betreten hatten, war ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Sie hatten ihre Freundin verloren.
    »Gut«, sagte sie dennoch und Jette nickte.
     
    Sie hätte nicht herkommen dürfen. Und sie hätte es auch nicht getan. Niemals. Nicht freiwillig. Eine oder einer von ihnen hatte sie hierhergeführt. Aber warum? Zu welchem Zweck?
    Wie eine Marionette kam sie sich vor. Irgendjemand spielte ein Spiel, das sie nicht kannte, und sie musste die Wege gehen, die er bestimmte.
    Der Raum hatte sich nicht verändert. Da waren die hohen Fenster, der graue Steinfußboden, die unverputzten Wände. Da war der Altar, ein riesiger, schlichter Tisch ohne Decke und ohne Blumenschmuck. Da waren die Stühle, die von der letzten Messe noch aufgebaut standen.
    Wieso war sie hierhergekommen?
    Das wuchtige Kreuz hing über ihr. Sie schaute hinauf zu ihm, sah den hölzernen Körper mit den ausgestreckten Armen und dem zur Seite geneigten Kopf. Die Dornenkrone war echt. Sie wurde Jahr für Jahr erneuert. In einem blutigen Ritual.
    Bevor sie dem hölzernen Jesus aufgesetzt worden war, hatte der Vater sie getragen. Für die Dauer einer ganzen Messe. Noch Tage später hatten seine Wunden geeitert und die Mutter hatte ihn hingebungsvoll gepflegt. Wie es sich für eine Frau gehört. Wie es sich für seine Frau gehörte.
    Nie war die Mutter eine eigene Persönlichkeit gewesen.
    Und deshalb habe ich so viele davon, dachte Mina. Sie hätte gern gelacht über diesen Witz, doch das hier war kein Ort zum Lachen. Und es war nicht die Zeit dafür.
    Sie wünschte sich, sie wäre woanders.
    Als sie die Tür knarren hörte und einen Lichtstreifen auf den Boden fallen sah, erstarrte sie und blieb einen Moment lang wie eine Statue im Dunkeln stehen. Dann duckte sie sich und huschte an der Wand entlang zu ihrem Versteck. Erst als sie mit hämmerndem Herzen in totaler Finsternis auf den kalten Steinen saß, wunderte sie sich darüber, dass sie das Versteck überhaupt noch kannte. Es war Jahre her, seit sie es das letzte Mal aufgesucht hatte.
    Sie presste eine Hand auf ihr Herz, damit es nicht so laut  schlug. Die andere Hand hielt sie sich vor den Mund, damit sie nicht schrie. Angestrengt lauschte sie, doch sie hörte nichts.
     
    Sie war da. Irgendwo im Dunkeln. Natürlich konnte er überall Licht machen, doch das wäre ja nur das halbe Vergnügen. Wie hatte ihr Vater immer gesagt? Der Weg ist das Ziel? Da hatte er, verdammt noch mal, recht gehabt. Das Ziel war die Jagd, nicht das Erlegen selbst.
    Er hatte sie immer gewollt, Mina, das geheimnisvolle Mädchen. Die Schöne. Unberührbare. Er hatte all die Jahre darauf hingelebt. Und nun war es so weit. Niemand wusste, wo sie sich aufhielt. Niemand außer ihm.
    Die Polizei fischte im Trüben. Hätte dieser Kommissar es gemacht wie er, dann hätte er Mina gefunden. Es war so einfach gewesen. Er hatte nur auf sie warten müssen. Verstörte Menschen kehren immer an den Ort zurück, an dem sie einmal zu Hause waren.
    Er ließ sich Zeit. Keiner würde sie hier stören. Seit dem Mord gab es keine Messen mehr und keine Zusammenkünfte. Es musste zunächst einmal ein neues Oberhaupt bestimmt werden. Das würde dauern.
    Sie hatte sich versteckt, das raffinierte kleine Ding. Ja. So machte es doch viel mehr Spaß. Absichtlich verrückte er einen Stuhl. Das Geräusch brach die Stille auf. Er grinste. Es war noch viel, viel schöner als in seinen Träumen.
     
    Sie zuckte zusammen. Der da draußen schien sich sicher zu fühlen. Er bemühte sich nicht einmal, leise zu sein.
    Wieso er? Und wenn es eine Frau ist?
    Mina hielt sich

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