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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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die Ohren zu. Jetzt nicht, dachte sie. Stört mich nicht.
    Aber würde eine Frau einen solchen Lärm machen?
    Ihr Atem war so furchtbar laut. Und das Blut rauschte in ihrem Kopf. Ihr Herz überschlug sich vor Entsetzen.
    Lauf! Der Ort ist nicht sicher. Erinnerst du dich nicht? Damals …
    Mina rang nach Luft. Die Wände rückten ihr auf den Leib. Es war nur ein Verschlag. Es gab nicht einmal genug Platz, um darin zu stehen.
    Sie wimmerte leise. Wollte das Schreckliche nicht sehen. Sich nicht erinnern.
    Mama! Hilf mir doch!
    Ganz langsam ging die Tür auf und ließ ein bisschen Licht herein. Mina verkroch sich tiefer in sich selbst.
    Irgendwo in ihrem Kopf hörte sie, wie das Kätzchen auf die Erde klatschte. Irgendwo in ihrem Kopf sah sie das blutige Fell, die toten, gebrochenen Augen. Und wie damals stand eine Gestalt gegen das Licht.
     
    Dass sie Angst hatte, erhöhte nur den Reiz für ihn. Er war lange genug gedemütigt worden. Wie eine Prinzessin war sie an ihm vorbeigeschritten und hatte ihn nicht wahrgenommen. Er hatte lange genug im Staub gekniet. Damit war jetzt Schluss.
    »Komm her«, sagte er.
    Sie flennte wie ein kleines Kind. Schleim lief ihr aus der Nase. Tränen sammelten sich an ihrem Kinn. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Er riss sie hoch.
    Sie wehrte sich nicht. Winselte bloß und rief nach ihrer Mama.
    Er schlug sie. Aber sie war nicht still. Das machte ihn so wütend, dass er all die schönen Träume vergaß.
    Die Schritte hörte er zu spät. Als er herumfuhr, traf ihn ein  Schlag. Ihm wurde schwarz vor Augen und er fiel. Fiel tief und tiefer. Bodenlos.
     
    Clarissa drückte sich zitternd an die Wand. Sie sah auf den Mann, der vor ihren Füßen lag. Jemand rannte weg. Weit entfernt knarrte eine Tür.
    Das Kätzchen war tot. Und sie war schuld daran. Wäre sie ein braves Mädchen gewesen, hätte der Vater sie nicht bestrafen müssen.
    Denk nicht mehr daran. Das ist lange her.
    Lange her. Lange her.
    Du hast geträumt.
    Aber sie konnte den Mann doch sehen, der da auf dem Boden lag.
    Ein Mann, Clarissa. Keine Katze.
    Sie holte tief Luft. Die Stimmen hatten recht. Da lag nicht das Kätzchen. Da lag ein Mann. Und den hatte sie vielleicht nur geträumt. Sie machte die Augen zu. Summte eine kleine Melodie. Vielleicht hatten die Stimmen ja Lust mitzusingen. Und wenn sie die Augen wieder aufmachte, dann war der Mann weg und der Traum zu Ende. Bestimmt.
     
    Die Tür stand offen. Zögernd gingen wir hinein.
    »Hallo!«, rief Tilo. »Ist da jemand?«
    Und wenn tatsächlich einer hier lauerte?
    »Nicht so laut!« Ich schaute mich ängstlich um.
    Langsam durchquerten wir den Raum, der Ähnlichkeit mit einer Kirche hatte. Im schwachen Licht, das aus dem Vorraum hereinfiel, wirkten die Schatten der herumstehenden Dinge wie Gespenster.
    Es war kein guter Ort.
    Wir hörten ein Wimmern. Tilo bewegte sich darauf zu. Merle und ich folgten ihm. Die Tür, hinter der das Geräusch hervordrang, hing schief in den Angeln. Ich schob die Hände in die Hosentaschen und hätte gern angefangen zu pfeifen, wie früher im Keller.
    Und dann sah ich den Mann auf dem Boden. Neben ihm kauerte mit vor Angst aufgerissenen Augen Clarissa, den Daumen im Mund. Sie schaukelte vor und zurück. Sie summte ein Lied. Ihre Stimme war klein und dünn und voller Tränen.
    Es war kein Platz in diesem Verhau. Tilo bückte sich, streckte die Arme aus. »Komm her zu mir«, sagte er liebevoll. »Komm. Wir bringen dich weg von hier.«
    Clarissa rührte sich nicht. Sie schaute durch ihn hindurch. Mit ihrer hohen, ernsten Kinderstimme summte sie weiter.
    »Jette und Merle sind auch da.« Tilo beugte sich vor, so weit er konnte. »Komm. Einen großen Schritt nur. So ist’s gut. Siehst du, jetzt hast du’s bald geschafft.«
    Clarissa ließ sich von ihm umarmen und trösten. Sie schluchzte leise. »Er hat meine Katze totgemacht. Weil Papa es ihm gesagt hat. Alle tun immer, was Papa will.«
    »Sieh nicht hin.« Tilo drückte sie an sich. »Sieh einfach nicht hin. Wir passen jetzt auf dich auf. Dir kann nichts passieren.«
    »Man darf keinen totmachen«, jammerte Clarissa. »Keine Menschen und kein Tier. Aber er hat es trotzdem gemacht. Er ist böse.«
    »Wer ist böse?« Tilo führte sie behutsam durch den großen Raum. Er hatte sie an der Schulter gefasst und hielt sie so vorsichtig, als wäre sie zerbrechlich.
    »Max.« Clarissas Stimme bebte.
    Danach sagte sie kein Wort mehr. Sie ließ sich von Tilo zum Wagen bringen, krabbelte auf den

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