Der Schnee war schmutzig
sie ihren Eichelkaffee darauf kochen konnten.
Jedesmal, wenn man mit Kohleneimern hinunterstieg, spitzte Frank das Ohr, und Lotte tat in ihrem Bett sicherlich das gleiche.
Jeder Mieter hatte seinen Verschlag im Keller, der mit einem Vorhängeschloß abgeschlossen war. Aber wer außer ihnen besaß Kohle und Holz?
Wenn das Mädchen mit hochrotem Gesicht und müden Armen wieder heraufkam, öffneten sich fast immer die Flurtüren, und giftige Blicke musterten sie und ihre Eimer. Frauen tauschten laut böse Bemerkungen. Einmal hatte ein Mieter im zweiten Stock – er war inzwischen erschossen worden, aber nicht deswegen – die beiden Eimer umgeworfen und gebrüllt: »Hure!«
Das Haus war eine richtige Mietskaserne, und die meisten Bewohner behielten, weil sie nichts zum Heizen hatten, den ganzen Tag die Mäntel an, und viele trugen außerdem noch zwei oder drei Westen und Handschuhe. Und dann waren da noch die Kinder, die zur Schule gehen mußten.
Berta war in den Keller gegangen. Sie hatte keine Angst. Sie war eine von den wenigen, vielleicht weil sie stark und sanft war, die die Sache mehr als sechs Wochen ausgehalten hatte.
Aber für die Liebe taugte sie nicht. Sie stieß manchmal so merkwürdige Laute aus, daß dem Mann dabei die Lust verging.
Eine Kuh! dachte Frank.
So wie er bei Kromer dachte: Ein junger Stier!
Die beiden hätten gut zueinander gepaßt.
Berta machte Feuer in der Küche und dann im Zimmer und ließ dabei die Küchentür halb offen. Es gab vier Öfen in der Wohnung, mehr als in allen übrigen Wohnungen im Haus, vier Öfen für sie allein. Wer weiß, ob die Leute nicht eines Tages sich im Flur an die Wand lehnen würden, um etwas von der Wärme zu profitieren.
Ob es Sissy Holst warm hatte?
Er wußte, wie das vor sich ging. Er kannte die kleine blaue Flamme, die nur morgens zwischen sieben und acht Uhr aus dem Gasherd kam. Die Leute wärmten sich die Finger am Wasserkessel. Einige legten sogar die Füße auf den Gasherd oder preßten den Bauch daran. Und alle waren mit alten Kleidern bedeckt, mit allem, was sie hatten, eins überm anderen.
Sissy? Warum hatte er an Sissy gedacht?
Im Haus gegenüber, das noch ärmlicher als das ihre war, denn es war älter und schon halb zerfallen, hatten die Bewohner Packpapier an die Scheiben geklebt, um sich etwas gegen die Kälte zu schützen, und kleine Löcher in das Papier geschnitten, damit Licht hereinkam und sie hinausblicken konnten.
Sahen die den Eunuchen? Hatte man die Leiche schon entdeckt? Das würde in aller Stille vor sich gehen. So etwas ging immer in aller Stille vor sich. Viele Männer waren schon zur Arbeit gegangen, und die Frauen stellten sich bereits vor den Läden an. Wenn nicht eine Streife vorbeigekommen war – aber das war unwahrscheinlich, denn es kam fast nie eine in die Grüngasse, die nirgendwohin führt –, hatten die Frühaufsteher als erste den dunklen Haufen im Schnee bemerkt und waren dann zur Straßenbahnhaltestelle geeilt.
Aber jetzt, da es schon hell war, mußten die später Weggehenden die Farbe der Uniform erkennen. Doch sie hatten es nicht weniger eilig, sich davonzumachen.
Ein Portier würde alles Notwendige veranlassen. Diese Leute sind gleichsam Beamte. Sie können nicht behaupten, nichts gesehen zu haben. Sie haben im Hausflur ein Telefon zur Verfügung.
Aus der Küche kam der Geruch von brennendem Holz. Dann hörte Frank, wie in den anderen Öfen gestochert wurde, und schließlich vernahm er das Geräusch der Kaffeemühle.
Arme, dicke, dumme Berta! Vorhin, als sie barfuß auf dem Teppich gestanden, hatte sie sich den ganzen Körper gerieben, um die von den Decken auf der Haut verursachten Druckstellen zu entfernen. Sie hatte keinen Schlüpfer an. Sie schwitzte. Sie sprach mit sich selbst. Vor zwei Monaten hatte sie zu dieser Stunde den Hühnern Futter gegeben und gewiß mit ihnen in einer Sprache gesprochen, die sie verstanden.
Immer wieder der Lärm der Straßenbahn. Ihr plötzliches Anhalten an der Straßenecke, daß der Sand in den Schienen knirschte. Man war daran gewöhnt, und dennoch wartete man unwillkürlich darauf, daß sie wieder polternd weiterfuhr.
Welcher von den Portiers hatte so viel Angst, daß er die Behörden anrief? Die Portiers haben alle Angst. Das gehört zu ihrem Beruf. Man merkt das, wenn man sie vor zwei oder drei Wagen voller Soldaten der Besatzungsmacht gestikulieren sieht.
Es hat eine Zeit gegeben, da man das Viertel umzingelt und die Häuser eins nach dem anderen
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