Der Schnee war schmutzig
er Fieber. Daß er nur nicht gerade jetzt krank wird. Der Chef trägt eine Brille und ist schwarz gekleidet. Warum? Denn sonst trägt er doch einen grauen Anzug. Frank ist katholisch. Er hat protestantische Freunde gehabt und ist manchmal mit ihnen in die Kirche gegangen. Er hat protestantische Pfarrer gesehen.
Er muß aufpassen, denn der eckige Schreibtisch nimmt eine andere Form an, wird zu einer Art Altar. Es ist lächerlich, daß Lotte sich so anzieht. Sie tut es jedesmal, wenn sie glaubt, vornehm wirken zu müssen. Er erinnert sich vage an das Bild einer Königin, die sich auch so kleidete, nur ihr Gewand war wallender. Aber sie war eben eine Königin. Lotte hat ein Bordell. Die arme Minna dagegen wirkt genauso, als käme sie gerade aus dem Kloster.
Warum weint sie? Lotte läßt ihr zerknülltes Taschentuch fallen, und Holst bückt sich, um es aufzuheben, und reicht es ihr. Er sagt nichts, weil jetzt nicht gesprochen werden darf. Der Chef liest in seinen Zetteln und läuft Gefahr, alles durcheinanderzubringen. Es ist ein sehr kompliziertes und äußerst wichtiges Gebet.
Sissy sieht Frank so fest in die Augen, daß sie ihm weh tun. Es gibt keinen Revolver mehr, sondern nur einen Schlüssel. Man wird ihnen statt der Ringe ihren Schlüssel geben. Der Gedanke ist nicht dumm. Er hat nie gehört, daß man so etwas tut, aber es ist sehr gut. Wem wird man den Schlüssel geben? Es ist natürlich der Schlüssel zu einem Schlafzimmer mit einem Fenster und einer Jalousie. Es ist schon dunkel. Man muß die Jalousie herunterlassen und die Lampe anknipsen.
Er schlägt die Augen auf und blickt um sich. Man hat eben die Birne in seinem Klassenzimmer angeknipst. Der Zivilist steht neben seinem Bett, und der Soldat wartet an der Tür.
»Ich komme …«, stammelt er. »Ich komme …«
Aber er rührt sich nicht. Er muß sich mit Gewalt losreißen. Seine Beine sind steif. Sein Rücken schmerzt. Der Mann wartet. Auf dem Hof ist es dunkel. Das Licht des Scheinwerfers gleitet über den Hof wie das eines Leuchtturms über das Meer. Frank hat das Meer nie gesehen. Er wird es auch niemals sehen. Er kennt es nur vom Kino her.
Er war zweimal mit Sissy im Kino. Zweimal!
»Ich komme …«
Er zieht seine Jacke an. Er hat das Gefühl, daß er etwas vergißt. Ach ja, er muß sich dem Chef gegenüber sehr höflich verhalten, um eine Hoffnung in ihm zu erwecken.
Das kleine Büro. Der Ofen bullert. Es ist sehr heiß, viel zu heiß. Vielleicht ist auch das Absicht. Man läßt ihn stehen. Es ist ein Verhör im Stehen, obwohl er gerade heute, er weiß nicht warum, besonders gern gesessen hätte.
»Würden Sie mir ein wenig von Kromer erzählen?«
Der läßt keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen. Er weiß, daß der Augenblick günstig ist.
»Ich bin gern dazu bereit.«
Er hätte lieber von dem Revolver gesprochen, den er auf dem Schreibtisch liegen sieht. Er wäre dann diese Bedrohung los, die man wohl für das Ende aufhebt.
»Warum hat er Ihnen Geld gegeben?«
»Ich habe ihm Ware besorgt.«
»Was für Ware?«
»Uhren.«
»Handelte er mit Uhren?«
Er möchte ihn anflehen: »Werden Sie die Genehmigung erteilen?«
Während des ganzen Verhörs wird er an sich halten müssen, um nicht diese Frage zu stellen.
»Jemand wollte von ihm Uhren haben.«
»Wer?«
»Ich glaube, ein Offizier.«
»Sie glauben?«
»Er hat es mir gesagt.«
»Welcher Offizier?«
»Ich kenne seinen Namen nicht. Ein höherer Offizier, der Uhren sammelt.«
»Wo haben Sie ihn kennengelernt?«
»Ich habe ihn nie gesehen.«
»Wie hat er Sie bezahlt?«
»Er hat Kromer bezahlt, der hat mir meinen Anteil gegeben.«
»Wie hoch war der Anteil?«
»Die Hälfte.«
»Wo haben Sie die Uhren gekauft?«
»Ich habe sie nicht gekauft.«
»Haben Sie sie gestohlen?«
»Ich habe sie genommen.«
»Wo?«
»Bei einem Uhrmacher, den ich kannte und der tot ist.«
»Haben Sie ihn getöet?«
»Nein, er ist vor einem Jahr gestorben.«
Es geht zu schnell, viel zu schnell. Normalerweise hätte es dafür mehrerer Verhöre bedurft. Aber es geht mit ihm durch. Man könnte sagen, daß er jetzt das Tempo überstürzt, um schneller zum Ende zu kommen.
»Wer verfügte über die Uhren?«
Der Chef blickt auf einen seiner Zettel. Sie wissen alles. Frank könnte schwören, daß sie es schon von Anfang an wußten. Warum müssen sie dann diese Komödie spielen?
Was wollen sie noch erfahren? Was erhoffen sie sich noch? Denn schließlich vergeuden sie damit viel mehr ihre Zeit als
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