Der Schoepfer
Lóudóttir. Sie ist immer noch verschwunden. Ihre Mutter macht sich natürlich furchtbare Sorgen und ich inzwischen auch.«
»Margrét?«
»Kennst du sie?«
»Ich weiß nicht, ob es dieselbe ist, aber mein Freund Nexi kennt eine Margrét. Ich weiß allerdings erst seit kurzem, dass sie Margrét heißt. Er hat sie immer Marge genannt. Er hat gesagt, ihre Mutter hätte ihn letztens angerufen und wäre total ausgerastet, obwohl er überhaupt nichts gemacht hat und keine Ahnung hatte, dass sie abgehauen war.«
Als Kjartan zurückkam, frisch dem heißen Badewasser entstiegen, von der Hitze gerötet und mit einer viel zu großzügigen Portion Gel im Haar, hatte Lárus das Paket schon ins Wohnzimmer getragen. Sveinn fühlte sich wie zu Hause, hatte drei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank geholt, Salzstangen in ein Glas gefüllt und alles auf den Wohnzimmertisch gestellt.
»Gibt’s was zu feiern?«, fragte Kjartan.
»Klar gibt’s was zu feiern«, entgegnete Sveinn. »Mach das Paket auf!«
»Der Meister ist ja gespannter als ich«, sagte Kjartan und blinzelte Lárus zu.
Lárus grinste, mehr aber auch nicht. Seine Ergebenheit bezog sich offenbar nur auf Sveinn.
»Kann ich es nicht später aufmachen?«
»Bist du etwa zu schüchtern?«, fragte Sveinn.
Lárus lachte.
»Na, wenn es dir so wichtig ist, Applaus und Verbeugungen für dein Meisterwerk zu bekommen, mache ich es eben auf.« Kjartans Stimme war deutlich anzuhören, dass er sich nicht wohl bei der Sache fühlte.
»Er schämt sich«, dachte Sveinn. Aber wofür? Schämte er sich angesichts von Lárus’ Unschuld?
Kjartan wickelte die Schwarzhaarige aus dem Laken. »Sie ist hübsch, das muss man schon sagen«, sagte er einfältig. »In dem schicken Seidenkleidchen und keine einzige Schramme, trotz ihrer waghalsigen Reise nach Reykjavík.«
»Die Haare sind verfilzt«, sagte Sveinn. »Die werden nie mehr so glatt und glänzend, wie sie mal waren. Du bekommst sie zum halben Preis, was anderes kommt nicht in Frage.«
»Du bist ja wirklich bester Laune«, sagte Kjartan und verhüllte den Körper der Puppe wieder mit dem Laken, als meinte er, sie schäme sich.
Sveinn schaute zu Lárus und sah, dass der Junge froh war, die Schwarzhaarige nicht mehr sehen zu müssen. Warum stellten die sich eigentlich so an? Waren sie am Ende genauso schlimm wie die Weiber, wenn es um den Unterschied zwischen einer Frau und einer Puppe ging?
»Was ist der Unterschied zwischen einem Apfel und einer Weihnachtskugel?«, fragte Sveinn.
»Was?«, fragten Kjartan und Lárus gleichzeitig. »Was hast du gesagt?«
»Ach, nichts.«
Das Handy klingelte in seiner Manteltasche.
Unknown .
»Ich muss jetzt los«, sagte Sveinn. »Wir sehen uns.«
Er stürmte aus dem Haus, startete den Wagen und antwortete dann: »Hallo?« Keine Antwort, nur starrende, blutende Stille.
»Willst du nichts sagen? Heute keine Pöbeleien?«
Stille.
»Du hast wahrscheinlich recht, Hansdóttir«, sagte Sveinn in die Leere hinein. »Die Welt wäre besser, wenn es Männer wie mich nicht gäbe. Ich habe gerade gemerkt, dass sich sogar meine treuesten Kunden für mich schämen.«
Er hatte das Handy zwischen sein Ohr und seine unverletzte Schulter geklemmt und war, während er sprach, runter zum Fußballplatz gefahren, wo er den Wagen anhielt und über den Langasandur aufs Meer hinausschaute.
»Ich habe keine andere Entschuldigung, als dass in meinem Kopf irgendwas fehlt. Anstandsgefühl vielleicht. Gottesfurcht. Ich weiß es nicht. Unsere heutige Zeit ist verkommen, und ich habe mit Schuld daran. Tut mir leid. Bitte verzeih mir, tu es mir zuliebe und dir zuliebe. Ich lebe ein Hundeleben, nur damit du es weißt. Ich habe kaum Bekannte, keine Freundin und mache eigentlich nichts anderes als arbeiten, außer jetzt, da ich den Arm gebrochen habe und mich noch nicht mal betäuben kann, indem ich mich totschufte.«
Hansdóttir räusperte sich, und Sveinn wunderte sich über den Bassdonner, der aus dem Hörer drang und das Bild von Louis Armstrong in seinem Kopf hervorrief. Diese Frau musste eine kräftige, tiefe Whiskystimme haben. Wie viele Päckchen filterlose Zigaretten sie wohl am Tag rauchte?
Die Stille im Hörer veränderte ihre Beschaffenheit, und als Sveinn aufs Display schaute, sah er, dass Hansdóttir aufgelegt hatte.
Seine Äußerung hatte einen merkwürdigen Einfluss auf ihn. Während des Redens hatte sein Körper wie ein Lügendetektor funktioniert, die Nerven hatten sich abwechselnd an- und
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