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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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spezifischen Affekt derer, die mit Gott vertraut sind: «Wer aus Liebe zu Ihm brennt, ist rein.» (27/1, 196) Klage und Rebellion sind in den Glauben selbst aufgenommen, sie werden zu einem theologischen, spirituellen und – betrachtet man sie vor dem konkreten Hintergrund der mystischen Rituale – gleichsam liturgischen Motiv, wie man es aus der Hebräischen Bibel kennt. Es sind Psalmisten, die Gott im Gebet anklagen, Betende; es ist Hiob, der sich gegen Gott auflehnt, der treueste unter Gottes Dienern. Und dieser Hiob wird nicht etwa bestraft für seinen Protest – er wird reich entschädigt, obwohl er Gott nicht verzeiht, sondern sich Ihm lediglich aus Einsicht in Seine Macht fügt. Das ist ein Aspekt, den Ernst Bloch kaum berücksichtigt, wenn er die gesamte Auflösung als Vertuschung abtut. Gott selbst sanktioniert die Auflehnung, indem Er am Ende nicht die drei Freunde, sondern Hiob belohnt – und zugleich dessen Klage nicht beantwortet, sie nicht widerlegt und mithin bestehen läßt. Vergleichbar reiht «Das Buch der Leiden» unerhörte Vorwürfe gegen Gott aneinander, denen durch eine abrupte Wendung plötzlich ein glückliches Ende zuzufallen scheint, aber genau diese Wendung wird durch den Epilog wieder ins Utopische gehoben, so wie das Buch Hiob ohne Erklärung, ohne Auflösung, mit einem reinen Wunder aufhört. Weder Hiob noch Attars Figuren sind versöhnt, noch ist ihr Urteil revidiert. So wie Hiob belohnt wird, ohne daß er eine Antwort auf seine Fragen erhält, so läßt Attar durchschimmern, daß wenn überhaupt Menschen, dann am ehesten noch die rebellischen Narren und gottfrevelnden Heiligen Erlösung finden. Bayezid, der nach Ablauf seiner siebzig Jahre mit Gottes siebzigtausend Jahren abrechnen will, hört am Ende seiner Drohrede gegen den Himmel eine Stimme:
    – Warte den Tag der Abrechnung ab, dann werde Ich deine sieben Glieder zu Atomen machen und jedes Atom zu einem Auge und dir für jedes Auge eine Audienz gewähren. Das wird deine Abrechnung sein für vieltausend Jahre, und du wirst mehr sehen, als du schauen kannst. Wer immer diese Sonne erblicken soll, wird hier finden, was ihm dort verheißen ward. (10/1, 133)
    Und Attar selbst sagt (wenn auch in der Einleitung, wo Hoffnung noch Platz hat), daß Gott quält und zugleich mit dem Weinen ein Mittel zur Linderung lehre (0, 18).
Wenn du mich auf den Boden Deines Zorn drückst,
        Streust Du hundert Schätze der Güte über mich.
Und wenn das Schwert Deiner Gerechtigkeit mich verwundet,
        Wird heilen mich die Salbe Deiner Gnade. (0, 17)
    Gott ist der Quäler und der einzige Heiler, das Schwert und die Salbe. Die Verse sprechen menschlich nach, was Jahwe so sagt:
    Ich kann schlagen und kann heilen, und ist niemand, der aus meiner Hand errette. (5. Mose 32,39)
    Weder die Bibel noch Attar rufen dazu auf, Gott zu lästern, vielmehr stellen sie die Auflehnung gegen Gott als ein intimes, vielleicht das intimste Moment des Glaubens dar: «Wie dürfte der Vernünftige wagen, was der Liebende sagt?» (33/7, 300) Dieses dialektische Moment verkennt Bloch, wenn er im ursprünglichen, «authentischen» Hiob allein den Rebellen sieht. Auf dem Weg zum Berg Sinai trifft Mose einen erleuchteten Asketen. Der spricht:
    – O Mose, richte dem Schöpfer aus: Deine Befehle sind ausgeführt, drum übe Barmherzigkeit.
    Als Mose weitergeht, trifft er einen, den die Liebe zu Gott aus der Bahn geworfen hat. Der spricht:
    – Richte dem Wahrhaften aus: Dieses Stück Haut und Knochen liebt Dich. Liebst Du es auch?
    Mose geht weiter und trifft schließlich einen barhäuptigen Narren mit bloßen Füßen. Der sagt frech zu Mose:
    – Richte dem Schöpfer aus: Wieviel Elend hast Du für mich noch aufbewahrt? Mir ist die Kraft ausgegangen, es zu ertragen. Der Kummer hat meine Seele leergelöffelt, der frohe Tag ist mir zur Nacht geworden. Ich sage mich von Dir los – aber wirst auch Du endlich von mir lassen?
    Auf dem Berg Sinai angekommen, wagt Mose dem Herrn nur die ersten beiden Botschaften auszurichten. Gott gewährt dem Asketen wie dem Liebenden ihre Bitten. Als der Prophet sich zum Gehen wenden will, spricht der Herr:
    – Du hast mir die Botschaft des Narren verheimlicht.
    – O Herr, ich hielt es für besser, Dir seine ungebührliche Rede zu verschweigen. Auch wenn Du sie gehört hast, gehört es sich nicht, sie noch einmal auszusprechen.
    – Richte dem Narren aus: Wenn du dich auch von Mir lossagst, so werde Ich Mich doch nicht

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