Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
Zeitvertreib wie Sultan Mahmud, der die Dörfer überfallen läßt, damit die Bittsteller seinen Palast mit Leben füllen, oder aus Eitelkeit wie eine grausame, lieblose Geliebte: Ein junger Mann sieht auf der Straße in die schönen Augen einer verschleierten Frau. Verliebt folgt er ihren Schritten. Nach einer Weile dreht sich die Frau um und fragt den jungen Mann, was er wolle. Als dieser seine Gefühle gesteht, hebt sie den Schleier, läßt ihn ihr sonnengleiches Antlitz sehen und eilt nach Hause. Der Mann, nun vollständig um die Fassung gebracht, läuft der Frau nach. Als er ihre Tür verschlossen findet, schmeißt er mit Steinen dagegen, damit sie ihm öffne. Die Frau kommt heraus und fährt ihn an:
– Bist du von Sinnen, Elender? Willst du, daß man dir den Kopf abschneidet?
– Wenn du nicht die meine sein wolltest, warum hast du dann den Schleier vor mir gelüftet?
– Weil ich es wirklich sehr gern habe, daß mich jemand gern hat. (37/9, 334f.)
Kein verständiger Mensch würde sich auf so eine Geliebte einlassen. Der Mensch aber, er liebt. Er ist nicht verständig. Das ist die Krux des Monotheismus. Man kommt von Gott schon deshalb nicht los, weil es keinen anderen gibt. Gefährliche Liebschaften: Ein Einsiedler, der sein Leben mit dem Gottesdienst verbracht hat, fleht Jesus an, Gott zu bitten, ihm ein Atom Seiner Liebe zu gewähren. Als Jesus nach einiger Zeit zurückkehrt, findet er das Gebetshaus des Einsiedlers eingestürzt, seinen schönen Mihrab zerbrochen zu tausend Stücken, die Quelle, aus der er Wasser schöpfte, versiegt. Gott klärt Jesus auf, daß der Einsiedler inzwischen auf einem Berge lebt. Jesus besteigt den Berg und erkennt den Einsiedler kaum wieder, gelb sein Gesicht, trocken die Lippen, staubbedeckt die Augen. Einem Toten ähnlicher als einem Lebenden, liegt er im eigenen Blut und hat nicht einmal die Kraft, den Gruß des Propheten zu erwidern. Da offenbart Gott Jesus:
– Dieser Mann hat ein Stäubchen Meiner Freundschaft von Mir verlangt. Als Ich ihm die Bitte erfüllte, vergaß er sich selbst, gab alles auf und wurde der, den du siehst. Hätte Ich ihm ein weiteres Stäubchen Liebe gegeben, er wäre selbst in Staub zerfallen. (31/1, 278)
Längst nicht jeder im «Buch der Leiden» bittet Gott um weitere Schläge; die Lust am Schmerz ist nur eine der Etappen der Verzweiflung, als die Attar den Weg nach innen darstellt. Genauso gibt es die nackte Wut, den schwarzen Sarkasmus, den Hohn, den Spott. Aber ein Fixpunkt der Attar’schen Frömmigkeit, zu dem der Dichter nicht in jedem Kapitel, aber oft genug zurückkehrt, ist die Liebe: Obwohl an Gott und der Welt, wie Er sie eingerichtet hat, nichts zu beschönigen, im Gegenteil alles zu beklagen ist, verlangt es den Menschen nach Ihm – das ist zugleich der Grund, zu leiden und dennoch zu glauben, Gott zu preisen und zu beschimpfen, sich von Ihm loszusagen und nach Ihm zu dürsten. Al-Dschunayd formuliert das sehr schön:
Mein Gott, mein Gott, wenn Du mir auch
Alle Kälte zeugst und Dich von mir abwendest,
Kann ich doch niemals meiner Sehnsucht entfliehen,
Wenn ich auch aus diesem Leben scheide.[ 111 ]
Im «Buch der Leiden» seufzt ein verelendeter, verhungernder Narr, den die Liebe zu Gott in den Strudel der Plage gerissen hat, immerfort tränenerstickt:
– Wart ab, o Gott, bis ich tot bin, dann werde ich Dir schon antworten.
Als der Narr im Sterben liegt, setzt er ein Testament auf, in dem er bittet, daß nach seinem Tod folgender Satz mit dem Blute seines Herzens auf Leichentuch und Grabstein geschrieben werde:
– Dieser Herzzerrissene (bi-del) gibt Dir, da er gestorben und zu einem Häufchen Staub geworden ist, schließlich Antwort: Da Du und er nicht zusammen in die Welt gepaßt haben, hat er Dir die Welt überlassen und ist gegangen. (19/3, 196)
Die Menschen im «Buch der Leiden», die Narren, die Weisen, die Liebenden, sie können nicht anders, sie sind zu Gott verdammt. «Je näher einer ist, desto verwirrter und ratloser ist er; die entfernt sind, haben es leichter», sagt Attar. «Wie kann da jemand nach Nähe streben?» (2/2, 76) Auch hier kehrt bei ihm Hiob wieder: Hiob wendet sich gegen Gott, aber nicht von Gott ab; er schreit, er schweigt, aber er sagt sich nicht los. Genau das, was Satan von ihm erwartet und Hiobs Frau direkt fordert (Hiob 2,9), Gott nämlich zu verabschieden, um befreit und erleichtert zu sterben, ist ihm das Unmöglichste. Die Liebe der Weisen und Narren Attars zu Gott widerspricht nicht
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