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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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von dir lossagen. (33/7, 299f.)
    Nur die erste Hälfte von Blochs berühmtem Satz (sofern man ihn verallgemeinert und statt von Christen und Atheisten von Gläubigen und Ungläubigen spricht), nur die erste Hälfte würde «Das Buch der Leiden» gelten lassen, nämlich daß nur ein Ungläubiger ein guter Gläubiger sein kann. Der zweite Halbsatz hingegen, nur ein Gläubiger kann ein guter Ungläubiger sein, das Telos der Bloch’schen Aussage, wäre Attar wie dem oder den Dichtern des Buches Hiob bestenfalls gleichgültig, schließlich geht es ihnen nicht darum, die Voraussetzungen des Atheismus zu bestimmen, sondern auf die Fährnisse der Frömmigkeit zu weisen.
    – Wie kannst du den Geschmack der Religion kennen? fragt Umar, der dritte Kalif des Islams, und gibt sich selbst zur Antwort: Ich kenne ihn, weil ich den Geschmack des Unglaubens gekostet habe. (40/2, 358)
    Attar vermeidet Hinweise darauf, daß den Narren und Heiligen, die Gottes gerechte Ordnung in Frage stellen, eine Antwort zuteil werden könnte. Er preist sie als Vertraute Gottes, läßt ihre Anklage jedoch ohne Erklärung verhallen. Gott wird nicht gerechtfertigt, sowenig Er sich im Buch Hiob rechtfertigt. Bayezid, der mit Gott abrechnen will, wird nicht widerlegt, aber belohnt. Dies exakt ist das Paradox jener häretischen Frömmigkeit, mit der Attar der Bibel folgt: an Gott festzuhalten, aber Ihm zugleich das Attribut der Güte zu verweigern, und schließlich die Belohnung dieses Affektes gegen Gott – all dies zusammen gehört zum Hiob-Motiv, das eben nicht aus bloßer Anklage oder bloßem Erdulden besteht. Das Motiv ist in allen Versepen Attars zu finden, im «Buch der Leiden» allerdings in äußerst pessimistischer Färbung, insofern der Dichter das Leiden und die daraus erwachsene Rebellion drastischer als in jedem anderen Buch der islamischen Literatur schildert, wohingegen er die Erlösung und mögliche Auszeichnung der Rebellion nur andeutet.
    Ernst Bloch und andere moderne Interpreten nahmen an, daß das Motiv der Fügung dem Buch Hiob nachträglich hinzugefügt worden sei. Ich schrieb, daß außer Aspekten der Textkritik auch inhaltlich-dramaturgische Gründe gegen die Annahme sprächen. «Das Buch der Leiden» schärft den Blick dafür, daß gerade die Auflehnung gegen Gott die Nähe zu Ihm voraussetzt. In dieser Denkfigur wurzelt die Rebellion in der Frömmigkeit, wie die Geschichte vom Schüler Dhu n-Nuns veranschaulicht. Vierzig vierzigtägige Klausuren absolviert der Schüler, vierzig Jahre betet er ununterbrochen, fastet, wacht und schweigt, ohne daß er erleuchtet wird oder ihn nur ein Funken Hoffnung streift. Er wolle sich nicht beklagen, spricht er zum Meister, aber er wisse einfach nicht mehr, was er noch anstellen solle, um ein Zeichen zu erhaschen. Dhu n-Nun sagt, daß wenn Gott nicht in Güte, dann vielleicht im Zorn auf den Schüler herabblicken werde, und empfiehlt, das Beten und Festen einmal sein zu lassen und nach Herzenslust zu prassen. Der Schüler schlägt sich den Magen voll, legt sich schlafen, und sogleich erscheint ihm endlich der Prophet im Traum, um eine Botschaft Gottes auszurichten:
    – Wie kann jemand Schaden erleiden, der mit uns zu tun hat? (9/1, 125ff.)
    Hiob oder die Narren, Heiligen und Derwische im «Buch der Leiden» verlieren nicht den Glauben an Gott, wenn sie gegen Ihn aufbegehren; in ihrer Verzweiflung sind sie religiöser als die Gläubigen, die Gott preisen, aber vor den realen Verhältnissen Seiner Schöpfung die Augen verschließen. Die über das übliche Maß lieben, wagen es, den Gott einzufordern, wie Er sich selbst offenbart hat. Schließlich hat Gott seine Wette gegen Satan nicht verloren: Daß Hiob gegen Gott rebelliert, bedeutet nicht, daß er Ihn leugnet. Ungehorsam wird hier zu einem Akt der Fügung, denn indem der Mensch sich von Gott emanzipiert, wird er gottgefällig.
Das Auge Deines Verzeihens suchte einen Rebellen,
        So habe ich mich auf das Feld des Widerstands gestellt. (0, 18)
    Hiob in der Islamischen Republik
    Haben Hiobs Fragen, die Attar neu und verschärft gestellt hat, heute noch Platz in Iran? Jedenfalls nicht innerhalb der Religion. Wenn sich orthodoxe Autoren wie Ajatollah Morteza Motahhari überhaupt mit der Problematik des Bösen beschäftigen, dann theologiegeschichtlich und damit am Ende Gott gerechtfertigt worden ist.[ 115 ] Dessen Gerechtigkeit wird aber auch von religiösen Autoren verteidigt, die das Religionsverständnis der Orthodoxie

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