Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
angreifen. Die Attribute Gottes im staatstragenden Diskurs – am auffälligsten wohl bei dem wichtigsten Theoretiker der konservativen Staatsführung, Ajatollah Mohammad Taqi Mesbah-Yazdi – sind oft so aggressiv, daß eine religiöse Opposition Gott nicht zusätzlich schwarzmalen müßte. Wer die Islamische Republik von einem islamischen Standpunkt aus in Frage stellt, hebt deshalb gerade die Barmherzigkeit und Güte Gottes hervor, um sich vom Staatsislam abzusetzen. Es ist der sanfte, barmherzige Gott der persischen Liebesmystik, den ein Religionsphilosoph wie Abdolkarim Sorusch, der bekannteste Reformdenker des heutigen Irans, gegen den strengen, unnachgiebigen Gott des «Rechtsislam» (eslam-e feqhahati) absetzt.[ 116 ] Eine solche Unterscheidung hat sich in den letzten Jahren sogar im Straßenbild gezeigt. Als die Stadtverwaltungen fast aller Städte nach den ersten Kommunalwahlen der iranischen Geschichte im Februar 1999 in die Hände von Reformern fielen, ließen diese die öffentlichen Plakatwände und großen Leuchttafeln mit dem Prophetenspruch plakatieren: «Gott ist schön und liebt die Schönheit.»[ 117 ] Offenbar hielten sie es nach zwanzig Jahren Islamischer Republik für wichtig, an die Herrlichkeit Gottes zu erinnern. Hier ist ein Beharren auf Gott und jene Seiner Eigenschaften zu spüren, die den Gläubigen anziehen, statt zu ängstigen. Am witzigsten manifestiert sich dieses Beharren in der Satire «Die Eidechse» (Marmulak), die von einem kleinen Ganoven handelt: Im Gewand eines Mullahs aus dem Gefängnis entflohen, findet er sich draußen in der Freiheit unvermittelt auf einer Kanzel wieder. Spontan erfindet dieser iranische Schweijk einen Islam, der die Menschen zur Liebe aufruft, statt sie mit Gesetzen zu quälen, einen Islam der Toleranz und individuellen Glaubenserfahrung, mit einem Gott, der so barmherzig ist, wie es der Anfang jeder Sure verspricht. Die Zuhörer sind begeistert.
Im heutigen Iran ist es weniger die Literatur als vielmehr das avancierte Kino, das die Fragen Hiobs und Attars von neuem stellt, wie überhaupt die Auseinandersetzung mit Gott vor allem von Filmregisseuren geführt wird. Am offensten wird Gottes Gerechtigkeit in Majid Majidis Film «Die Farbe des Paradieses» (oder, wie er treffender im Original heißt: rang-e ḫodā, «Die Farbe Gottes») in Zweifel gezogen, am tiefgründigsten in Abbas Kiarostamis «Der Geschmack der Kirsche» (tam-e gilās). Neben diesen durchaus religiösen oder die Religion ernst nehmenden Regisseuren haben im heutigen Iran vor allem diejenigen das Hadern mit Gott wiederentdeckt, die mit Gott kaum noch etwas im Sinne haben. In Texten, die in Iran als CD-Rom oder als Exildrucke kursieren, formulieren eine Reihe von Autoren ihre Kritik am Gottesstaat als Kritik an Gott – sei es an Gott als solchem oder am islamischen Gottesbild. Die islamische Tradition der Gottanklage spielt hier allerdings kaum herein. Sie kehrt zurück nach Iran als europäischer Reimport. Das hervorstechendste Beispiel dieses Typus knüpft bezeichnenderweise nicht an die persischen Seelenreisen an, sondern an Dante. Der Ich-Erzähler in Huschang Moinzadehs Neuerzählung der «Göttlichen Komödie» attackiert Gott am Gerichtstag als Ausbund der Ungerechtigkeit.
Gott! Du hast mir versprochen, daß ich vor einem Gericht der Gerechtigkeit stehen werde. Oder nicht? Was ist mit Deinem Versprechen? Wo ist die Gerechtigkeit? Was ist das für ein Gericht, das mir weder erlaubt, eine Klage vorzubringen, noch mich nach meinen Taten befragt? Was unterscheidet die Methoden Deines Gerichts von den Gerichten der Rabbiner, der Inquisition der Kirche, den Scharia-Gerichten der Mullahs? Dort haben sie die gleichen Urteile ausgesprochen, Kreuzigen, Verbrennen, Steinigen, Hinrichten, Erschießen, egal, ob der Verurteilte schuldig oder nichtschuldig war. Das ist genauso wie hier![ 118 ]
Solche Anklagen Gottes sind allerdings – soweit ich sehe, auch an anderen Stellen – fast immer satirisch gemeint: Als die eigentlichen Objekte der Kritik bleiben der Staat oder der Islam erkennbar. Gott soll nicht angeklagt, sondern, wenn überhaupt, als absurdes Konstrukt entlarvt werden. Das nimmt den Angriffen zwar nicht ihre politische, wohl aber ihre metaphysische Dimension. Der Protest gegen Gott und das Sein, der so laut, so zahlreich, so radikal war in der religiösen Kultur des Islams und auch das europäische Denken zum zuvor Undenkbaren mit angestiftet hat, ist in Iran ebenso wie in der
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