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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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arabischen Welt eine Stimme fast nur noch außerhalb der Religion. Es ist eine Kritik von außen, wie es sie das gesamte 20. Jahrhundert hindurch überaus zahlreich und prominent unter iranischen Intellektuellen gegeben hat, am schärfsten vielleicht ausgerechnet beim berühmtesten Schriftsteller, bei Sadeq Hedayat. Es ist wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, wenn man heute über die tiefreichende Krise und den Verlust an Kreativität, Toleranz und Freizügigkeit in der heutigen arabischen Welt oder der politischen Diktatur in Iran spricht: Die meisten Dichter und Mystiker, die das herrschende Weltbild ihrer Zeit und die tradierten Normen angegriffen haben, die meisten dieser Autoren haben sich hingegen als fromme Muslime begriffen. Und nicht nur das: Sie waren fester Bestandteil der eigenen Kultur.
    Eine Kultur erweist dort ihre Stärke, wo sie die radikale Kritik nicht Außenstehenden überläßt, sondern selbst betreibt, wo also Selbstkritik möglich ist, wo sie sogar institutionell gefördert wird. Wie einst Gott den Aufrührer Hiob reich entschädigt hat, haben sich später die Könige ihre Spötter und Narren gehalten, stärken heutige Staaten ihr kritisches Potential und finanzieren Städte ein avanciertes Theater. Und so durchschaubar der Zweck für die jeweiligen Autoritäten ist, die eigene Subversion zu subventionieren, halten sich die Kritiker nicht notwendig an die Grenzen ihrer Narrenfreiheit, sondern gehen immer wieder darüber hinaus und erweitern so das Sagbare. Wie anders könnten sich religiöse und politische Zustände weiterentwickeln, wenn ihre Wahrheiten nicht immer wieder neu attackiert, sie durch die Kritik immer wieder zu neuen Antworten gedrängt würden. Und Selbstkritik heißt schließlich, daß man zu diesem Selbst noch gehört, so wie ja auch die größten Kritiker des Westens ein glänzender, herausragender Bestandteil eben ihrer eigenen westlichen Kultur waren – und wie ich mir gelegentlich wünschen würde, daß heutige europäische Intellektuelle sich mehr den Mißständen ihrer eigenen Welt als denen des Islams widmen würden. Kritik an anderen Kulturen ist immer affirmativ gegenüber der eigenen Kultur und damit das Gegenteil dessen, was Literatur zum Antrieb und zur Aufgabe hat. Literatur, Kunst und Intellektualität insgesamt sind im Kern ein selbstkritischer Akt. Attar ist das beste Beispiel hierfür: Er ist kein Häretiker, sondern ein Klassiker der persischen Literatur und ein Beispiel dafür, was islamische Kultur sein konnte – nämlich immer auch das Gegenteil von dem, was die religiösen Eliten als islamisch definierten.
    Ein rationalistisches oder mystisches Verständnis von Religion, radikale Freizügigkeit erotischer Schilderungen, die Akzeptanz politischer wie religiöser Kritik und gar offene Häresie haben in Attars Heimat heute kaum einen öffentlichen Platz mehr, geschweige denn eine Frömmigkeit, die Häresie einschließt. Wenn man von einzelnen Ländern wie Libanon und einzelnen Autoren wie Nagib Machfus absieht, fehlen sie auch in der arabischen Welt. «Ich bin größer als Gott», rief der Mystiker Bayezid Bestami aus. Bestami ist einer der großen Heiligen der islamischen Mystik. Heute würde verketzert werden, wer seine Aussprüche gläubig erneuerte, so verketzert, wie es für die christliche Welt einst Kant von Hiob sagte. Die Größe einer Kultur erweist sich nicht zuletzt, wo sie den Affekt gegen ihre größten Autoritäten zuläßt, sogar den Affekt gegen Gott.

 

Anhang

Dank
    Der Anlaß, mich an ein Buch über «Das Buch der Leiden» zu wagen, war meine Berufung an das Wissenschaftskolleg zu Berlin im Jahr 2000. In den drei Jahren meines Fellowships, aber auch danach hat mich das Wissenschaftskolleg auf so vielfältige Weise unterstützt, daß ich es im einzelnen schon nicht mehr überblicke. Da ist vor allem die Bibliothek zu nennen, deren Service sich bedrohlich der Perfektion annähert. Ich konnte die Wissenschaftler und Schriftsteller Jan Assman (Heidelberg), Almut Sh. Bruckstein (Berlin), István Eörsi (Budapest), Michael Friedrich (Hamburg), Karl-Josef Kuschel (Tübingen), Susanne Lanwerd (Berlin), Martin Mosebach (Frankfurt am Main), Angelika Neuwirth (Berlin), Friedrich Niewöhner (Wolffenbüttel) und Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) zu einem so intensiven wie beglückenden Arbeitswochenende zum Thema meines Buches einladen, dem ich unzählige Anregungen verdanke. Überhaupt habe ich aus den Gesprächen und Korrespondenzen

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