Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Schmerz zu tragen,
        Meinen Rock in solchen Staub zu führen?
Seltsam nur, du bist mir gar kein Schmerz,
        Ich will dich, das ist alles, was ich weiß.
Was weinst du? fragst du, wenn ich weine.
        Weine gefälligst, ist dein Befehl, wenn ich lache.
Wenn ich wache, sagst du; besser siehst du im Schlaf.
        Wenn ich schlafe, sagst du: wach auf, um zu träumen.
Wenn ich etwas tue, sagst du: halt ein.
        Und wenn ich einhalte, sagst du: tu endlich was.
Wenn ich esse, sagst du: faste, Unwissender!
        Und wenn ich faste, sagst du, wieso ißt du nicht, Esel?
Was könnt’ ich schon essen, wenn du bei mir bist,
        Was könnt ich schon tun, wenn du mit mir tust?
Was du willst, ist weder gut noch schlecht.
        Bist mir kein Feind, ein Freund noch weniger. (0, 65)
    In dieser Ontologie des Schmerzes bedeutet der Tod durch den Geliebten das Höchste aller Gefühle. Der liebeskranke arabische Prinz, der die Schwester Sultan Sandchars bittet, ihn nicht zu besuchen, weil er ihre Schönheit nicht erträgt, schenkt der Geliebten zum Dank das einzige, was er noch besitzt, das halbe Leben, das ihm noch geblieben ist – spricht’s und stirbt (14/1, 163ff.). Der Schuhmachersohn verliebt sich in den schönen Sohn des Emirs und muß deswegen die Schule verlassen, die sie beide besuchen. Um zu beweisen, daß er ihm sein Herz hingegeben hat, schneidet er sich das Herz aus der Brust und läßt es ihm auf einem Teller schicken (20/3, 202ff.). Zu steigern ist solche Hingabe nur durch die Auflösung der eigenen Person im Geliebten. Als König Mahmud zur Jagd aufbrechen will, weint sein Sklave Ayaz.
    – Warum weinst du? will der König wissen.
    – Aus Eifersucht.
    – Warum bist du eifersüchtig.
    – Weil du einem anderen Wesen hinterherjagst.
    – Aber ich es will es doch fangen und niederstrecken.
    – Das steigert meine Eifersucht tausendfach.
    – Aber ich will es doch nachher töten.
    – Nun ist meine Eifersucht hunderttausendmal so groß.
    – Aber ich will es doch verzehren.
    – Nun kennt meine Eifersucht kein Maß mehr. Nähmst du bloß mich zur Speise, dann würde ich verschwinden und ganz zu Mahmud werden. Jetzt bin ich nur ein armer Sklave. (39/6, 415)
    Streckenweise schildert Attar das Verhältnis zwischen Gott und Mensch geradezu als sexuell aufgeladenen Sadomasochismus. Dazu gehört nicht nur das Moment des genußreichen, gewollten Leidens, sondern auch das der Unterwerfung, der völligen Willenlosigkeit, die als Freiheit empfunden wird. Sultan Mahmud besucht den schlafenden Ayaz. Er entblößt ihm den Fuß, wäscht ihn mit Rosenwasser und Tränen, bettet seine Wange darauf, die ganze Nacht hindurch. Am Morgen bemerkt Ayaz, daß sein Fuß auf dem Gesicht des besinnungslosen Sultans liegt, zieht ihn aber nicht zurück.
    – Was fällt dir ein, Sklave, daß du mich, den Herrscher von sieben Ländern, wie einen Sklaven behandelst? zürnt der Sultan, als er erwacht.
    – Nicht als König, sondern als Sklave bist du zu mir gekommen und hast mir gedient. Dein Herz war des Königtums müde, drum hat es dich zur Sklaverei getrieben. Steh auf, das Sklaventum steht dir nicht an. Handle es mit deinem Herzen aus, daß du dich nach der Unterwerfung sehnst. Wer bin ich schon, daß du dich vor mir schämen müßtest? Der Sklave bin ich, gehorche deinen Befehlen. (32/5, 292ff.)
    Attar deutet gelegentlich an, daß der Mensch sich nicht nur nach der Unterwerfung sehnt, sondern umgekehrt auch Gott den Sklaven braucht wie ein Sadist sein Objekt der Begierde.
    – Warum läßt Gott nicht Gerechtigkeit walten? legt er dem närrischen Weisen Maschuq-e Tusi (lebte im 11. Jahrhundert) die Hiobsfrage in den Mund und läßt ihn kühn antworten: Damit die Herrschaft Gottes an den Tag komme.
Alles, was war, ist und sein wird,
        War Ihm, und alles war gut.
Unversehrt war alles, allein,
        Knechtschaft fehlte und Erniedrigung.
Drum erschuf Er die Menschen, auf daß
        Knechtschaft Gottsein erhebe.
In Aufruhr versetzte Er den Basar der Welt,
        Warf alle Horizonte durcheinander.
Hundert schlechte Welten Seiner Herrschaft mit Gewalt,
        Daß Verzweiflung aufsteige aus der Knechtschaft Welt.
        (37/11, 336)
    Ja, Gott genießt es zu quälen. Wenn Er sich überhaupt dem Menschen widmet, dann nur, um sich einen Spaß aus dessen Liebe zu machen, aus

Weitere Kostenlose Bücher