Der Schuldige: Roman (German Edition)
klingelte einmal und räusperte sich, während er über die Schulter den antiken Bentley betrachtete, der an der Bordsteinkante parkte. Er wollte gerade noch einmal auf die Klingel drücken, als die Tür von einer älteren Frau in einem Overall geöffnet wurde, die einen Staubwedel in der Hand hatte.
»Bitte kommen herein«, sagte sie mit einem Akzent, der polnisch sein konnte. Sie neigte den Kopf und bewegte sich auf das Wohnzimmer zu, wobei sie mit dem Staubwedel auf die Treppe deutete. »Mrs. Croll in Kiche.«
Allein in der Diele nahm Daniel die frischen Schwertlilien, die chinesischen Vasen und Seidenstoffe, die dunklen antiken Möbel in sich auf. Er steckte eine Hand in die Hosentasche, unsicher, wo die Küche sei. Er folgte dem Geruch nach Toast eine Treppe hinunter, die mit dickem, hellbeigem Teppich ausgelegt war, und fürchtete, seine Schuhe könnten Spuren darauf hinterlassen.
Charlotte hatte eine Sonnenbrille auf. Sie hockte über einem Kaffee und der Zeitung. Die Sonne schien in die Souterrainküche und spiegelte sich in deren weißen Oberflächen.
»Daniel«, rief Charlotte, während sie sich umdrehte. »Nehmen Sie sich einen Kaffee. Ich bin gleich fertig. Entschuldigen Sie, aber ich habe Kopfweh, und es ist so verdammt hell hier drin, selbst zu dieser gottserbärmlichen Stunde!«
Daniel, der mitten in der Küche stehen geblieben war, nickte. »Es wird heute ein heißer Tag.«
»Setzen Sie sich, trinken Sie einen Kaffee.«
»Danke. Ich habe gerade welchen getrunken.«
»Mein Mann hat in aller Herrgottsfrühe angerufen. Da war es zwei Uhr nachmittags in Hongkong.« Sie legte zwei Finger gegen ihre Schläfen, während sie in kleinen Schlucken ihren Orangensaft trank. »Er hat mich gefragt, ob man Sebastian wirklich festgenommen hat oder nicht. Er ist furchtbar wütend auf mich geworden. Ich sagte ihm, ich glaubte nicht. Ist das richtig? Ich meine … bloß weil Sebastian Ben gekannt hat … aber dann scheint es ihnen wirklich furchtbar ernst zu sein …«
»Er ist festgenommen worden, aber man hat ihn nicht angeklagt. Er ist formell belehrt worden und wird wegen Mordes vernommen, und das könnte noch ein paar Tage dauern. Sie sollten lieber darauf vorbereitet sein. Zum jetzigen Zeitpunkt denke ich, tun Sie recht, wenn Sie ihm helfen. Wir sehen mal, wie’s heute läuft.«
Charlottes Miene erstarrte für einen Moment. In dem hellen Sonnenlicht bemerkte Daniel das dicke Make-up, das die Falten um ihren Mund verdecken sollte.
»Wir müssen ihm einfach helfen, auf die richtige Weise mit der Sache fertig zu werden. Wir möchten nicht, dass er sich selbst belastet, aber wir möchten sicherstellen, dass er die Fragen so vollständig beantwortet, wie ihm das möglich ist. Wenn er irgendetwas nicht sagt, was später von Bedeutung ist, kann ihm das vor Gericht zu seinen Ungunsten ausgelegt werden«, sagte Daniel.
»Gott, wie absolut lächerlich … das arme Kind dermaßen durch die Mangel zu drehen. Der Fall wird doch nicht vor Gericht gebracht werden, oder?«
»Nur, wenn die Polizei genügend Beweise hat, um ihn anzuklagen. Im Moment wird er verdächtigt, mehr nicht. Sie haben keine Beweise, eigentlich, aber das gerichtsmedizinische Gutachten ist entscheidend. Vielleicht bekommen wir den Bericht noch heute, und der wird ihn hoffentlich entlasten.« Daniel räusperte sich. Er wünschte, er könnte seinen eigenen tröstenden Worten glauben. »Sebastian ist noch nie in solchen Schwierigkeiten gewesen?«, fragte er.
»Nein, natürlich nicht. Das ist alles einfach ein schrecklicher Irrtum.«
»Und in der Schule kommt er gut zurecht – keine Schwierigkeiten mit den anderen Kindern oder mit … Schulproblemen?«
»Na ja, ich meine, er liebt die Schule nicht gerade. Mein Mann sagt, das liegt daran, dass er zu intelligent ist. Er wird nicht genug gefordert, verstehen Sie?«
»Dann hat er also doch Probleme?«, sagte Daniel und zog eine Augenbraue hoch, da er die Anspannung an ihrem Hals bemerkte, als sie ihren Sohn verteidigte.
»Er wird entmutigt. Er ist wirklich recht intelligent. Er schlägt seinem Vater nach, jedenfalls sagt mir das Ken immer wieder. In der Schule wissen sie einfach nicht, wie sie mit ihm umgehen sollen, wie sie … sein Potenzial freisetzen sollen. Verstehen Sie …?« Charlotte schwieg und nahm ihre Sonnenbrille ab. Daniel sah, dass ihre Augen plötzlich erwartungsvoll leuchteten. »Soll ich Ihnen ein paar von seinen Arbeiten zeigen? Er ist wirklich ein ganz außergewöhnliches
Weitere Kostenlose Bücher