Der Schuldige: Roman (German Edition)
lächelte.
Er hielt vor der Farm. Den Hof hatte man in Ordnung gebracht und den alten Schuppen abgerissen. Der Garten war umgegraben und der Rasen vor dem Haus gemäht worden. Daniel atmete den sauberen Geruch der Erde ein. Die Luft war kalt, und so holte er seinen Schlüssel hervor und trat zum letzten Mal ins Innere des Farmhauses ein.
Es sah anders aus als früher. Von ihr gab es kaum mehr eine Spur. Die Fußböden waren makellos sauber, und das Bad und die Küche rochen nach Chlor. Den alten Elektroherd hatte er nie so weiß glänzen sehen. Er fuhr mit dem Zeigefinger da rüber und erinnerte sich an die Mahlzeiten, die sie für ihn zubereitet hatte: den Hackfleisch-Kartoffelbrei-Auflauf, Fish and Chips, Roastbeef und Yorkshirepudding.
Die Fenster waren gestrichen. Der Tisch war leer geräumt und der Kühlschrank offen und sauber. Mit Cunningham würde er sich später treffen, um die Verträge auszutauschen und die Schlüssel zu übergeben. Er erinnerte sich, wie er vor ein paar Monaten in das leer stehende Haus gekommen war, noch immer wütend auf sie, voller Schmerz, ohne sich zu ihrem Verlust zu bekennen – und verlangt hatte, dass alle ihre Sachen weggeworfen würden, professionell entsorgt. Jetzt wünschte er sich, die Zeitung zu sehen, die sie gerade gelesen hatte, ihren Topf voller einzelner Knöpfe, ihre alten Kleider, ihre Vinylschallplatten, auf die keine Fingerabdrücke kommen durften, die Tiere, die das Leben mit ihr geteilt hatten, während er sie verachtet hatte.
Daniel fühlte einen Schmerz im Hals. Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Es war leer: Verschwunden war das alte Sofa, verschwunden ihr altmodischer Fernsehapparat und der Videorekorder, verschwunden ihre Fotos und Bilder, verschwunden der Schemel, auf den sie immer ihre hornhäutigen Füße mit den harten Zehennägeln gelegt hatte.
Die Dielenbretter waren von den Füßen des Klaviers verschrammt, und das Holz war dort dunkler, wo der Körper des Instruments den Fußboden gegen das Licht abgeschirmt hatte. Daniel bedeckte seine Augen mit beiden Händen. Es tut mir leid, Mum , flüsterte er mit einem Kloß im Hals in dem stillen, leeren Farmhaus, als ihm heiße Tränen über die Wangen schossen. Verzeih mir.
Ihre nackten Füße traten die Pedale, die Knie hatte sie ge spreizt, und der Stoff ihres Rocks fiel zwischen ihre Schenkel. Sie machte die Schultern gerade, lehnte sich mit einem Lachen zurück und griff in die Tasten.
»Wann hast du Klavier spielen gelernt?«, fragte er sie. Er lag auf der Couch und sah ihr zu, die Hände unter dem Kopf.
»Als ich klein war. Mein Vater spielte gern Klavier und brachte es uns beiden Mädchen bei … und er nahm uns zu Konzerten mit … und ließ uns still, mit den Fingern auf den Lippen, seine Schallplatten anhören. Einige der Platten da drin gehörten ihm, und ich hörte sie mir an, als ich ein kleines Mädchen war.« Minnie beugte sich beim Sprechen zu Daniel hinüber, während sie mit ihrer rechten Hand die Tasten hinaufklimperte und ihren linken Zeigefinger auf die Lippen drückte. »Möchtest du, dass ich es dir beibringe?«
Er schüttelte den Kopf. »Hat deine Tochter Klavier gespielt?«
Sie gab keine Antwort.
Er wusste noch immer nicht über das kleine Mädchen Bescheid, dessen Schmetterling er zu stehlen versucht hatte, aber jedes Mal, wenn er ihn sah, dachte er an sie.
»Sie konnte ein bisschen spielen«, war alles, was sie sagte, und dann begann sie wieder zu spielen, laut, sodass er das Vibrieren durch die Couch spürte. Davon juckte ihm die Kopfhaut. Er sah, wie sich ihre Wangen röteten und ihre Augen vor Tränen trübten. Aber dann warf sie wie immer ihren Kopf zurück und lachte. Sie sah aus dem Fenster, und ihre starken Hände lagen schwer auf den Tasten.
»Ach, komm her, Danny. Setz dich neben mich und zeig mir, was du kannst.«
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Ich habe dich letzte Woche spielen hören, verstehst du. Du hast gedacht, ich wär draußen, aber ich habe gehört, wie du’s probiert hast. Ich wollte nicht stören, verstehst du. Ich kann dir zeigen, wie man eine Melodie spielt, oder du kannst einfach tun, was du willst. Es ist egal. Es ist nur manchmal schön, Lärm zu machen. Es bringt den Lärm in deinem Kopf zum Schweigen. Du wirst es sehen. Komm und setz dich neben mich …«
Sie rutschte auf dem langen Klavierhocker zur Seite und tätschelte den Platz neben sich. Es war erst vierzehn Tage her, seit ihn die Jungs verprügelt hatten und er zu seiner
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