Der Schutzengel
Haus trug er wie Laura weiter seine Jacke, damit sie notfalls sofort aufbruchsbereit waren.
»Liegt er in einer Art Koma?« fragte Laura den Arzt.
»Ja, sein Zustand ist komatös. Allerdings nicht wegen Fiebers nach einer schlimmen Wundinfektion. Dazu ist’s noch zu früh. Und nachdem er jetzt behandelt worden ist, tritt wahrscheinlich gar keine Infektion auf. Nein, das ist ein traumatisches Koma – weil er angeschossen worden ist, wegen des Blutverlusts und so weiter. Er hätte nicht transportiert werden dürfen, wissen Sie.«
»Mir ist nichts anderes übriggeblieben. Wacht er bald wieder auf?«
»Vermutlich. In seinem Fall arbeitet der Körper im Koma sozusagen auf Sparflamme, um Energie zu sparen und die Heilung zu erleichtern. Er hat nicht so viel Blut verloren, wie man glauben könnte; sein Puls ist gut, so daß dieser Zustand nicht lange anhalten dürfte. Sieht man seine blutgetränkten Kleidungsstücke, glaubt man, er müßte literweise Blut verloren haben, aber das stimmt nicht. Andererseits hat er auch nicht nur ein paar Teelöffel voll verloren. Zum Glück für ihn sind keine Hauptblutgefäße zerrissen, sonst wäre sein Zustand viel ernster. Trotzdem gehört er eigentlich ins Krankenhaus.«
»Darüber haben wir schon gesprochen«, wehrte Laura ungeduldig ab. »Wir können in kein Krankenhaus fahren.«
»Welche Bank haben Sie denn überfallen?« fragte der Arzt lächelnd, aber das klang merklich gezwungener als seine anfänglichen Scherze.
Während der Entwicklung der Röntgenaufnahmen hatte Brenkshaw die Wunde gesäubert, sie mit Jod bepinselt und mit antibiotischem Wundpuder bestäubt und einen Verband vorbereitet. Jetzt holte er eine Nadel, Klammern, eine Art Zange und dicken Faden aus einem Wandschrank und legte sie auf das Stahltablett, das er in eine Halterung am Untersuchungstisch eingehängt hatte. Der Bewußtlose lag, durch mehrere Schaumstoffkissen gestützt, auf der rechten Seite.
»Was haben Sie vor?« fragte Laura.
»Die beiden Löcher sind ziemlich groß – vor allem die Austrittswunde. Wenn Sie darauf bestehen, sein Leben dadurch zu gefährden, daß Sie ihn nicht ins Krankenhaus bringen, braucht er wenigstens ein paar Stiche.«
»Gut, meinetwegen, aber beeilen Sie sich!«
»Rechnen Sie damit, daß die Tür jeden Augenblick von FBI-Agenten aufgebrochen werden könnte?«
»Schlimmer«, sagte sie nur. »Viel schlimmer!«
Seit ihrer Ankunft in Dr. Brenkshaws Praxis rechnete sie mit plötzlich vom Nachhimmel herabzuckenden Blitzen, Donner wie dem Hufschlag apokalyptischer Reiter und dem Hereinstürmen weiterer bis an die Zähne bewaffneter Zeitreisender. Während der Arzt vor einer Viertelstunde den Oberkörper ihres Beschützers geröntgt hatte, hatte sie geglaubt, in weiter Ferne eben noch wahrnehmbaren Donner zu hören. Sie war ans nächste Fenster geeilt, um den Himmel nach fernem Wetterleuchten abzusuchen, hatte jedoch nichts gesehen – vielleicht weil der Nachhimmel über San Bernardino zu hell war, vielleicht weil sie sich den Donner nur eingebildet hatte. Sie war schließlich der Meinung gewesen, sie habe nur ein Düsenflugzeug gehört und dieses Geräusch in ihrer Panik fälschlich für entfernten Donner gehalten.
Brenkshaw flickte seinen Patienten zusammen, schnitt den Faden ab, der später vom Körper absorbiert werden würde, und befestigte die Mullpolster mit breitem Heftpflaster von einer Rolle, die er mehrmals um Brust und Rücken von Lauras Beschützer führte.
Im Untersuchungsraum roch es so intensiv nach Desinfektionsmitteln, daß Laura gegen einen Brechreiz ankämpfen mußte. Chris schien der Geruch nicht zu stören. Er hockte in seiner Ecke und lutschte begeistert einen weiteren Tootsie Pop.
Während Brenkshaw auf die Röntgenaufnahmen wartete, hatte er dem Bewußtlosen auch eine Penicillinspritze gegeben. Jetzt trat er an einen der hohen weißlackierten Stahlschränke im Sprechzimmer und füllte zwei Tablettenfläschchen mit Kapseln aus zwei großen Packungen. »Ich habe die wichtigsten Medikamente hier, um sie an ärmere Patienten zu Selbstkosten abgeben zu können, damit sie keine Apothekenpreise zu bezahlen brauchen.«
»Was für Kapseln sind das?« fragte Laura, als er an den Untersuchungstisch zurückkam und ihr die beiden kleinen Plastikflaschen gab.
»Das hier sind Penicillinkapseln. Täglich drei zu den Mahlzeiten – falls er essen kann. Ich glaube , daß er bald wieder zu sich kommen wird. Sollte er bewußtlos bleiben, muß er intravenös
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