Der Schutzengel
männlichen Triumph, und die beiden lieben sich wild und leidenschaftlich. Weshalb muß ich schon zu alt sein, um die zweite Hälfte unseres kleinen Showdowns zu genießen, wenn ich endlich mal in eine solche Situation gerate?«
Laura verkniff sich ein Lächeln, weil sie nicht gefährlich aussah, sobald sie lächelte. »Maul halten!«
»Sie können doch bestimmt auch ganz anders.«
»Maul halten, sonst knallt’s!«
Er wurde weder blaß, noch begann er zu zittern. Er lächelte.
Chris kam von oben zurück. »Nirgends jemand, Mom.«
»Ob’s viele Revolverladies gibt, die so kleine Komplizen haben, die ›Mom‹ zu ihnen sagen?« fragte Brenkshaw.
»Unterschätzen Sie mich nicht, Doktor. Ich bin in verzweifelter Lage.«
Chris durchsuchte die Räume im Erdgeschoß und machte dabei überall Licht.
Laura wandte sich erneut an den Arzt. »Im Auto habe ich einen Verletzten …«
»Natürlich mit einer Schußwunde.«
»… den Sie behandeln sollen, ohne einer Menschenseele davon zu erzählen. Und wenn Sie nicht den Mund halten, komme ich eines Nachts vorbei und lege Sie um.«
»Herrlich!« meinte er belustigt.
Chris kam zurück und machte dabei das Licht wieder aus. »Nirgends jemand, Mom.«
»Haben Sie eine Tragbahre?« fragte Laura den Arzt.
Brenkshaw starrte sie an. »Soll das heißen, daß Sie wirklich einen Verletzten im Auto haben?«
»Was täte ich sonst hier, verdammt noch mal?«
»Hmmm, eigenartig. Gut, okay, wie stark blutet er?«
»Nicht mehr so stark wie zuvor. Aber er ist bewußtlos.«
»Wenn die Blutung nicht mehr so stark ist, können wir ihn anders transportieren. Im Sprechzimmer habe ich einen klappbaren Rollstuhl. Darf ich mir einen Mantel überziehen?« fragte er und deutete mit dem Kopf zum Garderobenschrank in der Diele hinüber.
»Oder machen Gangsterbräute wie Sie sich ein Vergnügen daraus, einen alten Mann im Schlafanzug bibbern zu lassen?«
»Holen Sie sich einen Mantel, Doktor, aber unterschätzen Sie mich nicht, verdammt noch mal!«
»Lieber nicht«, sagte Chris. »Sie hat heute nacht schon zwei Kerle erschossen.« Er ahmte einen Feuerstoß aus einer Maschinenpistole nach. »Sie haben nicht die geringste Chance gehabt; sie hat sie einfach umgelegt.«
Die Stimme des Jungen klang so ernst, daß Brenkshaw Laura erstmals besorgt anstarrte. »Im Schrank hängen nur Mäntel und ein Schirm. Ich bewahre dort keine Pistole auf.«
»Seien Sie trotzdem vorsichtig, Doktor. Keine hastigen Bewegungen.«
»Keine hastigen Bewegungen – ja, ich hab’ gewußt, daß Sie das sagen würden.« Obwohl der Arzt die Situation noch immer halbwegs amüsant zu finden schien, war er nicht mehr so unbekümmert wie zuvor.
Nachdem Dr. Brenkshaw einen Mantel angezogen hatte, ging er durch eine Tür links der Diele voraus. Er verließ sich auf den aus der Diele hereinfallenden Lichtschein, um Laura und Chris durch das ihm vertraute Wartezimmer zu führen, das mit Stühlen und einigen niedrigen Tischen möbliert war. Die nächste Tür führte ins Sprechzimmer – ein Schreibtisch, drei Stühle, medizinische Fachbücher –, wo er Licht machte. Hinter einer offenen weiteren Tür lag ein Untersuchungsraum.
Laura hatte erwartet, einen Untersuchungstisch und medizinische Geräte zu sehen, die seit über dreieinhalb Jahrzehnten in Gebrauch und trotzdem noch gut erhalten waren – eine altväterliche Praxis geradewegs aus einem Gemälde von Norman Rockwell –, aber alles schien neu zu sein. Brenkshaw hatte sogar ein EKG-Gerät, und an einer weiteren Tür las sie dieWarnung: RÖNTGENRAUM – IM BETRIEB GESCHLOSSEN HALTEN!
»Sie haben ein eigenes Röntgengerät?« fragte sie ihn.
»Klar. Die Geräte sind nicht mehr so teuer wie früher. Jede größere Praxis hat heutzutage eines.«
»Ja, jede größere Praxis, aber Sie sind doch nur …«
»Hören Sie, ich sehe vielleicht wie Barry Fitzgerald aus, der in einem alten Film einen Arzt spielt, und halte an der altmodischen Sitte fest, zu Hause zu praktizieren, aber ich behandle meine Patienten nicht mit überholten Methoden, nur um kauzig zu wirken. Ich wage zu behaupten, daß ich als Arzt mehr ernst zu nehmen bin als Sie als Desperada.«
»Wetten Sie lieber nicht drauf«, wehrte Laura unfreundlich ab, obwohl sie es allmählich satt hatte, die Eisenharte zu spielen.
»Keine Angst, ich spiele mit«, versicherte er ihr. »Das scheint amüsanter zu sein.« Er wandte sich an Chris. »Ist dir im Sprechzimmer der rote Keramiktopf auf meinem Schreibtisch
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