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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Fragen stellen.«
    Laura füllte viele Seiten ihres Tagebuchs mit Beobachtungen über Dr. Will Boone. Über ihren unbekannten Beschützer schrieb sie jedoch nichts. Sie versuchte auch, nicht mehr an ihn zu denken. Er hatte sie im Stich gelassen. Sie hatte auf ihn vertraut; seine heroischen Bemühungen, sie zu retten, hatten sie zur Überzeugung gebracht, etwas Besonderes zu sein, und ihr über den Tod ihres Vaters hinweggeholfen. Jetzt kam sie sich töricht vor, weil sie sich überhaupt je auf ihn verlassen hatte. Seinen kurzen Brief, den sie nach der Beerdigung ihres Vaters auf ihrem Schreibtisch gefunden hatte, bewahrte sie noch auf, aber sie las ihn nicht mehr. Sein mehrmaliges Eingreifen rückte mehr und mehr in den Bereich kindischer Phantasien, aus dem sie herauswachsen mußte.
    Am Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertags kehrten sie mit den Geschenken, die sie von Wohltätigkeitsorganisationen und privaten Wohltätern bekommen hatten, in ihr Zimmer zurück. In ihrer Festtagsstimmung begannen sie Weihnachtslieder zu singen, und Laura war ebenso überrascht wie die Zwillinge, als Tammy mit einstimmte. Sie sang leise und zaghaft mit.
    In den folgenden Wochen gab Tammy das Nägelkauen beinahe ganz auf. Sie war nur um weniges zugänglicher als bisher, wirkte aber ruhiger und selbstzufriedener als je zuvor.
    »Vielleicht fühlt sie sich allmählich wieder sauber«, vermutete Thelma, »wenn kein Sittenstrolch mehr in der Nähe ist, der sie belästigt.«
    Am Freitag, dem 12. Januar 1968, war Lauras dreizehnter Geburtstag, den sie jedoch nicht feierte. Ihr war nicht nach Feiern zumute.
    Am Montag darauf mußte sie aus dem McIllroy Home in das reichlich acht Kilometer entfernte Jugendheim Caswell Hall in Anaheim übersiedeln.
    Ruth und Thelma halfen ihrer Freundin, das Gepäck in die Eingangshalle hinunterzutragen. Laura hätte sich niemals vorstellen können, daß sie das McIllroy eines Tages mit solchem Bedauern verlassen würde.
    »Im Mai kommen wir nach«, versicherte Thelma ihr. »Am 2. Mai werden wir dreizehn und kommen hier raus. Dann sind wir wieder zusammen.«
    Als die Sozialarbeiterin aus Caswell kam, fuhr Laura nur ungern mit. Aber sie sträubte sich nicht.
    Caswell Hall war eine ehemalige High School, die durch den Einbau von Schlafräumen, Spielzimmern und Personalbüros in ein Jugendheim umgewandelt worden war. Deshalb war die Heimatmosphäre dort stärker ausgeprägt als im McIllroy Home.
    Caswell war auch gefährlicher als McIllroy, weil die Jugendlichen älter waren – und weil viele von ihnen bereits ein- oder mehrmals Straftaten begangen hatten. Der Handel mit Marihuana und Amphetaminen blühte, Schlägereien unter den Jungen – und sogar unter Mädchen – waren an der Tagesordnung. Wie im McIllroy bildeten sich Cliquen, aber in Caswell kamen sie nach ihrer Struktur und Funktion in gefährliche Nähe zu Straßenbanden. Diebstähle waren keine Besonderheit.
    Schon nach wenigen Wochen erkannte Laura, daß es zwei Arten von Überlebenskünstlern gab: die einen, die ihre Kraft aus der Tatsache schöpften, daß sie einmal sehr geliebt worden waren; und die anderen, die nicht geliebt worden waren und statt dessen gelernt hatten, von Haß, Rachsucht und Verdächtigungen zu leben. Einerseits spöttelten diese über das Verlangen nach Zuneigung, anderseits beneideten sie jene, die der Liebe fähig waren.
    Laura bewegte sich in Caswell mit äußerster Vorsicht, ohne jedoch zuzulassen, daß ihre Angst ihr Verhalten regierte. Die Schlägertypen konnten einem Angst machen, sie waren aber auch mitleiderregend und in ihrer Selbstdarstellung und mit ihren Ritualen der Gewalt sogar komisch. Laura fand keine Freundinnen wie die Ackersons, die ihren Sinn für schwarzen Humor geteilt hätten, deshalb vertraute sie das meiste nur ihrem Notizbuch an. In diesen sauber geschriebenen Monologen kehrte sie sich nach innen – und wartete darauf, daß die Ackersons dreizehn würden. Diese Zeit war für Laura eine unendlich bereichernde Periode der Selbstfindung und des wachsenden Begreifens jener tragikomischen Welt, in die sie hineingeboren worden war.
    Am 30. März, einem Samstag, saß sie in Caswell lesend in ihrem Zimmer, als sie hörte, wie eine ihrer Zimmergenossinnen  – ein weinerliches Mädchen namens Fran Wicken: – draußen im Flur mit einem anderen Mädchen über einen Brand sprach, bei dem Kinder umgekommen waren. Laura hörte nur mit halbem Ohr zu, bis das Wort »McIllroy« fiel.
    Laura lief ein kalter

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