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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Blutstrom. Sheener brach mit dem schweren, schrecklichen Gewicht eines Toten auf Laura zusammen.
    Sie konnte sich nicht bewegen, konnte kaum atmen und hatte Mühe, bei Bewußtsein zu bleiben. Über den grausig an- und abschwellenden Ton ihres erstickten Schluchzens hinweg hörte sie eine Tür aufgehen. Dann kamen Schritte näher.
    »Laura? Ich bin wieder da!« Das war Ninas Stimme, anfangs unbekümmert heiter, dann schrill vor Entsetzen. »Laura? Mein Gott, Laura! «
    Laura versuchte, den Toten von sich fortzuschieben, aber sie konnte sich nur halb unter der Leiche hervorwälzen – gerade weit genug, um Nina an der Wohnzimmertür stehen zu sehen.
    Nina war zunächst vor Entsetzen wie gelähmt. Sie starrte ins Crèmeweiß, Pfirsichgelb und Meergrün ihres Wohnzimmers, das jetzt unregelmäßig verteilte Rotakzente aufwies. Dann fiel der Blick ihrer veilchenblauen Augen auf Laura, und sie erwachte mit einem Ruck aus ihrer Trance. »Laura, o mein Gott, Laura! « Sie trat zwei, drei Schritte auf sie zu, blieb plötzlich stehen und krümmte sich keuchend zusammen, als habe jemand ihr mit der Faust einen Schlag in den Magen versetzt. Sie wollte sich aufrichten. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Dann konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten und brach lautlos zusammen.
    Das durfte nicht sein! Das war nicht fair, verdammt noch mal!
    Panik und ihre Liebe zu Nina verliehen Laura neue Kräfte. Sie wälzte sich unter Sheener hervor und kroch rasch zu ihrer Pflegemutter hinüber.
    Nina lag schlaff und ohne Bewegung. Ihre schönen Augen standen blicklos offen.
    Laura legte ihre blutverschmierte Hand an Ninas Hals und versuchte, ihren Puls zu erfühlen. Sie bildete sich ein, ihn gefunden zu haben. Schwach, unregelmäßig, aber spürbar.
    Sie zerrte ein Kissen vom nächsten Sessel, bettete Ninas Kopf darauf und hastete in die Küche, wo die Notrufnummern von Polizei und Feuerwehr auf dem Wandtelefon standen. Mit bebender Stimme meldete sie Ninas Herzanfall und gab der Feuerwehr ihre Adresse an.
    Als sie auflegte, wußte sie, daß alles wieder gut werden würde, denn sie hatte schon ihren Vater durch einen Herzanfall verloren, und es wäre einfach absurd gewesen, Nina auf gleiche Weise zu verlieren. Gewiß, das Leben hatte seine absurden Augenblicke, aber das Leben selbst war nicht absurd. Es war seltsam, schwierig, wundersam, köstlich, rätselhaft, aber nicht einfach absurd. Deshalb würde Nina überleben, weil ihr Tod unsinnig gewesen wäre.
    Noch immer ängstlich und besorgt, aber eigentlich schon getröstet lief Laura ins Wohnzimmer zurück, kniete neben ihrer Pflegemutter nieder und nahm sie in die Arme.
    Der Rettungsdienst in Newport Beach war erstklassig organisiert. Seit Lauras Anruf waren erst drei, vier Minuten vergangen, als bereits der Krankenwagen vorfuhr. Die beiden Sanitäter waren erfahren und gut ausgerüstet. Trotzdem konnten sie nur noch Ninas Tod feststellen: Sie war zweifellos schon tot gewesen, als sie zusammenbrach.
    Eine Woche nach Lauras Rückkehr ins McIllroy Home und acht Tage vor Weihnachten wies Mrs. Bowmaine Tammy Hinsen wieder das vierte Bett im Zimmer der Ackerson-Zwillinge zu. In einem ungewöhnlich vertraulichen Gespräch mit Laura, Ruth und Thelma erläuterte die Sozialarbeiterin ihnen den Grund für diese Verlegung: »Ich weiß, ihr sagt, daß Tammy sich bei euch Mädchen nicht wohl fühlt, aber sie scheint hier besser zurechtzukommen als anderswo. Wir haben sie in verschiedenen Zimmern untergebracht, aber die anderen Kinder vertragen sich nicht mit ihr. Ich weiß nicht, was die Kleine an sich hat, daß sie zur Ausgestoßenen wird, aber von ihren Zimmergenossinnen bezieht sie am Ende immer Prügel.«
    Als sie vor Tammys Ankunft wieder in ihrem Zimmer waren, nahm Thelma die Yogagrundhaltung mit sitzend übereinandergeschlagenen Beinen ein. Seit die Beatles sich für fernöstliche Meditation interessierten, hatte auch sie Yoga gelernt, weil sie sich sagte, wenn sie eines Tages Paul McCartney begegne (was unweigerlich passieren würde), »wäre es nett, wenn wir etwas gemeinsam hätten, was der Fall ist, wenn ich ‘ne Ahnung von diesem Yogascheiß habe«.
    Anstatt zu meditieren, fragte sie jetzt: »Was hätte die Kuh wohl getan, wenn ich gesagt hätte: ›Mrs. Bowmaine, die anderen Kinder mögen Tammy nicht, weil sie sich von dem Aal hat bumsen lassen und ihm bei der Suche nach weiteren Opfern geholfen hat, so daß sie aus unserer Sicht der Feind ist!?‹ Wie hätte die Bowmaine reagiert, wenn

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