Der Schutzengel
»Hamburger Hamlet« in Costa Mesa, und während des Studienjahrs arbeitete sie dort drei Abende in der Woche. Das »Hamlet« war ein gutgehendes Hamburger-Restaurant, das zu vernünftigen Preisen gutes Essen in angenehmer Atmosphäre – Balkendecke, holzgetäfelte Wände, bequeme Stühle mit Armlehnen – bot, so daß die Gäste im allgemeinen zufriedener waren als in den Restaurants, in denen Laura früher bedient hatte.
Selbst wenn der Laden schäbig und die Gäste unfreundlich gewesen wären, hätte sie den Job behalten, denn sie brauche das Geld. An ihrem 18. Geburtstag vor vier Jahren war ihr eröffnet worden, daß ihr Vater bestimmt habe, aus seinem Nachlaß solle ein Treuhandfonds gebildet werden, auf den der Staat trotz seiner Aufwendungen im McIllroy Home und in Caswell Hall keinen Anspruch erheben dürfe. Seit damals konnte Laura über das Geld verfügen und hatte damit einen Teil ihres Studiums finanziert. Ihr Vater war jedoch nicht reich gewesen; selbst mit Zins und Zinseszinsen machte das Fonds-vermögen nach sechs Jahren nur rund 12 000 Dollar aus – bei weitem nicht genug für vier Jahre Essen, Kleidung, Miete und Studiengebühren. Deshalb mußte Laura unbedingt als Serviererin dazuverdienen.
Am 16. Januar, einem Sonntag, hatte sie bereits die halbe Abendschicht im »Hamlet« hinter sich, als ein älteres Ehepaar Anfang Sechzig an einem ihrer Tische Platz nahm. Während die beiden die Speisekarte studierten, bestellten sie zwei Glas Michelob. Als Laura einige Minuten später das Bier brachte, sah sie auf dem Tisch eine Keramikkröte stehen. Vor Überraschung wäre ihr beinahe das Tablett aus der Hand gefallen. Sie starrte die beiden an, die jedoch nichts sagten , und fragte schließlich: » Sie haben mir also die Kröten geschenkt? Aber ich kenne Sie doch gar nicht – oder vielleicht doch?«
»Ah, das ist also nicht die erste?« wollte der Mann wissen.
»Das ist schon die vierte! Sie haben sie also nicht für mich mitgebracht? Aber sie ist vorhin noch nicht dagewesen. Wer hat sie hiergelassen?«
Er blinzelte seiner Frau zu, die Laura erklärte: »Sie haben einen heimlichen Verehrer, meine Liebe.«
»Wen?«
»Ein junger Mann, der dort drüben gesessen hat«, antwortete der Mann und zeigte auf einen der Tische, für die Lauras Kollegin Amy Heppleman zuständig war. Aber dort saß niemand mehr; soeben räumte ein ebenfalls hier angestellter junger Mann das gebrauchte Geschirr ab.»Sobald Sie weg waren, um unser Bier zu holen, ist er rübergekommen und hat uns gebeten, das hier für Sie zurücklassen zu dürfen.«
Diesmal war es eine als Weihnachtsmann verkleidete Kröte – allerdings ohne Bart – mit einem Spielzeugsack über der Schulter.
»Wissen Sie wirklich nicht, wer er ist?« fragte die Frau.
»Nein. Wie hat er ausgesehen?«
»Groß«, sagte der Mann. »Sehr groß und athletisch. Braunes Haar.«
»Und braune Augen«, ergänzte die Frau. »Sehr höflich.«
Laura starrte die Kröte in ihrer Hand an. »Diese Sache ist mir irgendwie … unheimlich.«
»Unheimlich?« wiederholte die Frau. »Aber der junge Mann ist nur in Sie verknallt, meine Liebe.«
»Ob das alles ist?« fragte sie leise.
Um eine vielleicht bessere Personenbeschreibung des Krötenverschenkers zu erhalten, sprach sie Amy Heppleman am Salatbüfett an.
»Er hat eine Omelette mit Pilzen, einen Vollkorntoast und eine Cola gehabt«, sagte Amy, während sie mit der Salatzange aus rostfreiem Stahl zwei Schalen füllte. »Hast du ihn nicht dort sitzen gesehen?«
»Nein, er ist mir nicht aufgefallen.«
»Ein großer, kräftiger Kerl. Jeans. Blaukariertes Hemd. Zu kurzer Haarschnitt, aber sonst gar nicht übel, wenn man auf Muskelmänner steht. Ziemlich schweigsam, fast ein bißchen schüchtern.«
»Hat er mit einer Kreditkarte bezahlt?«
»Nein, bar.«
»Zum Teufel mit ihm!« sagte Laura.
Sie nahm die Weihnachtsmannkröte mit nach Hause und stellte sie zu den anderen.
Am Montagmorgen verließ Laura ihr Appartement, und wieder lag eine weiße Schachtel vor der Tür. Sie machte sie widerstrebend auf. Die Schachtel enthielt eine gläserne Kröte.
Als Laura an diesem Montag von der Uni heimkam, saß Julie Ishimina mit einer Zeitung am Tisch in der Eßnische und trank eine Tasse Kaffee. »Schon wieder eine«, sagte sie und zeigte auf ein Päckchen auf der Arbeitsfläche neben dem Ausguß. »Ist mit der Post gekommen.«
Laura riß die sorgfältig verpackte Sendung auf. Die sechste Kröte war eigentlich ein Krötenpaar
Weitere Kostenlose Bücher