Der Schutzengel
Haare und war durchgefroren. Sie bibberte auf der ganzen Fahrt von Costa Mesa nach North Tustin.
Sie rechnete damit, daß er zu Hause sein würde. Falls er Student war, hatte er sonntags keine Vorlesungen; auch ein Angestellter würde heute nicht im Büro sitzen. Und wegen des Wetters kamen viele der üblichen Wochenendhobbys der sportlichen Südkalifornier nicht in Frage.
Die angegebene Adresse war eine Wohnanlage aus acht einstöckigen Einheiten im spanischen Stil, die in einem kleinen Park angeordnet waren. Auf der Suche nach seiner Wohnung mußte Laura minutenlang auf einem gewundenen Gehweg unter tropfenden Palmen und Korallenbäumen von Block zu Block gehen. Bis sie das Appartement gefunden hatte, war ihr Haar klatschnaß, und sie zitterte vor Kälte. Dieser unbehagliche Zustand steigerte ihren Zorn und ließ sie jede Angst vergessen, so daß sie ohne Zögern an der Wohnungstür klingelte.
Er hatte offenbar nicht durch den Spion geschaut, denn als er die Tür öffnete und Laura sah, wirkte er völlig verwirrt. Er war ungefähr fünf Jahre älter als sie und tatsächlich riesig: gut 1,95 Meter groß, bestimmt 110 Kilogramm schwer und mit sportlicher Figur. Er trug Jeans und ein enges blaßblaues T-Shirtvoller Öl- und Fettflecken, das seine Armmuskeln wirkungsvoll zur Geltung kommen ließ. Auch sein unrasiertes Gesicht war ölig und schmutzig, und er hatte schwarze Hände.
Laura trat vorsichtshalber einen Schritt zurück, um außer Reichweite zu sein, und fragte nur: »Warum?«
»Weil …« Er trat von einem Fuß auf den anderen, war fast zu groß für den Türrahmen, unter dem er stand. »Weil …«
»Ja?«
Er fuhr sich mit einer Hand durch sein kurzgeschnittenes Haar, ohne darauf zu achten, daß sie voll Öl waren. Sein Blick wich Laura aus. Er starrte den im Regen liegenden Innenhof an, während er sprach. »Wie … wie sind Sie auf mich gekommen?«
»Das ist unwichtig. Wichtig ist nur, daß ich Sie nicht kenne, daß ich Sie nie zuvor gesehen habe und trotzdem eine ganze Krötensammlung zu Hause habe. Sie kommen mitten in der Nacht an meine Tür, Sie brechen meinen Wagen auf – und das geht schon wochenlang so, deshalb habe ich doch wohl das Recht, Aufklärung zu verlangen?«
Er wurde rot, sah sie aber noch immer nicht an. »Ja, natürlich«, antwortete er zögernd, »aber ich wollte … den richtigen Zeitpunkt abwarten.«
»Der richtige Zeitpunkt wäre vor einer Woche gewesen!«
»Mmmm.«
»Los, raus mit der Sprache! Warum?«
Er betrachtete angelegentlich seine schmutzigen Hände und sagte leise: »Nun, ich …«
»Ja?«
»Ich liebe Sie.«
Laura starrte ihn ungläubig an. Endlich erwiderte er ihren Blick. »Sie lieben mich?« fragte sie. »Aber Sie kennen mich doch gar nicht! Wie können Sie einen Menschen lieben, den Sie überhaupt nicht kennen?«
Er schaute wieder weg, fuhr sich erneut mit seiner schmierigen Hand durchs Haar und zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich auch nicht, aber es ist eben so, und ich … äh … nun, ich habe das Gefühl, wissen Sie, dieses Gefühl, daß ich den Rest meines Lebens gemeinsam mit Ihnen verbringen muß.«
Aus Lauras nassem Haar tropfte ihr kaltes Regenwasser ins Genick und lief ihren Rücken hinunter. Den geplanten Arbeitstag in der Bibliothek konnte sie abschreiben – wie hätte sie sich nach diesem verrückten Auftritt noch konzentrieren können? Sie war ziemlich enttäuscht darüber, daß ihr heimlicher Verehrer sich als dieser schmuddelige, verschwitzte Ochse entpuppt hatte, der sich kaum ausdrücken konnte, und sagte scharf: »Hören Sie, Mr. Packard, ich will nicht, daß Sie mir weitere Kröten schicken.«
»Nun, wissen Sie, ich möchte sie Ihnen wirklich gern schicken.«
»Aber ich will sie nicht! Und morgen mache ich ein Paket aus denen, die Sie mir geschickt haben. Nein, ich bringe sie noch heute zur Post.«
Er sah sie wieder an, blinzelte erstaunt und sagte: »Ich dachte, Sie hätten was für Kröten übrig.«
»Ich mag Kröten«, antwortete Laura mit wachsender Verärgerung. »Ich liebe Kröten! Ich halte sie für die possierlichsten Geschöpfe unter Gottes Himmel. Im Augenblick wünsche ich mir sogar, eine Kröte zu sein , aber ich will Ihre Kröten nicht haben. Kapiert?«
»Mmmm.«
»Belästigen Sie mich bitte nicht mehr, Mr. Packard. Manche Frauen fallen vielleicht auf Ihre unbeholfene Romantik und auf Ihren verschmitzten Macho-Charme rein, aber ich gehöre nicht zu denen und kann mich meiner Haut wehren, das dürfen Sie mir
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