Der Schutzengel
bloß Freudentränen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir weitermachen könnten – ich habe nämlich noch drei Paare zu trauen.«
Selbst wenn der Vater des Bräutigams nicht vor Ergriffenheit in Tränen ausgebrochen, der Bräutigam nicht ein Riese mit wachsweichem Herzen gewesen wäre, hätte Thelmas Anwesenheit die Hochzeitsparty zum denkwürdigen Ereignis gemacht. Ihr Haar war seltsam zottig geschnitten und vorn zu einem purpurrot gefärbten Schöpf hochgekämmt. Mitten im Sommer – und ausgerechnet zu einer Hochzeit – trug sie rote Lacklederpumps, eine hautenge schwarze Stretchhose, eine – absichtlich – mit aller Sorgfalt zerrissene schwarze Bluse und eine gewöhnliche Stahlkette als Gürtel. Übertrieben starkes purpurrotes Augen-Make-up, blutroter Lippenstift und ein Ohrring, der an einen Angelköder erinnerte, vervollständigten die Aufmachung.
Während Danny sich nach der Trauung mit seinem Vater unterhielt, hockte Thelma in einer Ecke der Eingangshalle des Gerichtsgebäudes mit Laura zusammen und erläuterte ihr diesen Aufzug. »Das ist der Punkerlook – in England der letzte Schrei. Hier bei uns trägt das noch kein Mensch. Übrigens muß er sich auch in England erst durchsetzen, aber in ein paar Jahren laufen alle so rum. Für meine Auftritte ist er große Klasse. Ich sehe so verrückt aus, daß die Leute schon lachen, wenn ich auf die Bühne komme. Außerdem ist er gut für mich . Ich meine, wenn wir mal ehrlich sind, Shane, hab’ ich mich im Alter nicht gerade vorteilhaft entwickelt. Wäre Häßlichkeit ‘ne Krankheit, gegen die ein organisierter Feldzug geführt werden müßte, dann könnten sie mein Photo auf ihre Plakate tun. Aber der Punkerlook hat zwei große Vorteile: Man kann sich mit Frisur und Make-up so tarnen, daß keiner merkt, wie hausbakken man ist. Außerdem soll man ohnehin verrückt aussehen. Jesus, Shane, dein Danny ist wirklich riesig. Du hast mir am Telefon schon viel über ihn erzählt, aber so groß hab’ ich ihn mir nicht vorgestellt. Den brauchte man nur in einen Godzilla-Anzug zu stecken, auf New York loszulassen und das Ergebnis zu filmen und könnte sich teure Atelierbauten sparen. Und du liebst ihn, was?«
»Ich liebe ihn sehr «, antwortete Laura. »Er ist ebenso sanft, wie er groß ist – vielleicht nach all den Grausamkeiten, die er in Vietnam erlebt hat, oder vielleicht auch, weil er schon immer sanft gewesen ist. Er ist süß, Thelma, er ist intelligent und rücksichtsvoll, und er hält mich für eine der beste Schriftstellerinnen, die er je gelesen hat.«
»Aber als er angefangen hat, dir Kröten zu schenken, hast du ihn für ‘nen Psychopathen gehalten!«
»Eine kleine Fehleinschätzung.«
Zwei uniformierte Polizisten führten einen bärtigen jungen Mann in Handschellen durch die Eingangshalle zu einem der Gerichtssäle. Der Häftling musterte Thelma im Vorbeigehen prüfend und sagte dann laut: »He, Mama, wie wär’s mit uns?«
»Ah, der Ackerson-Charme«, flüsterte Thelma ihrer Freundin zu. »Du kriegst eine Mischung aus griechischem Gott, Teddybären und Bennett Cerf, und ich kriege eindeutige Anträge aus der Gosse. Aber wenn ich’s mir recht überlege, hab’ ich früher nicht mal die gekriegt, was darauf schließen läßt, daß meine Zeit vielleicht erst kommt.«
»Du unterschätzt dich, Thelma. Das hast du schon immer getan. Irgendwann erkennt ein ganz bestimmter Mann, was für ein Schatz du bist, und …«
»Charles Manson – wenn er auf Bewährung entlassen wird.«
»Nein! Irgendwann wirst du so glücklich wie ich. Das weiß ich genau! Schicksal, Thelma.«
»Großer Gott, Shane, aus dir ist eine hoffnungslose Optimistin geworden! Was ist mit den Blitzen? Mit all den tiefschürfenden Gesprächen auf dem Fußboden unseres Zimmers in Caswell? Hast du die vergessen? Damals sind wir uns darüber einig gewesen, daß das Leben nichts als eine absurde Komödie ist, die gelegentlich von tragischen Blitzschlägen unterbrochen wird, um die Story besser zu gewichten und die komischen Momente deutlicher hervortreten zu lassen.«
»Vielleicht erlebe ich in Zukunft keine Tragödien mehr«, sagte Laura.
Thelma starrte sie prüfend an. »Wow! Ich kenne dich, Shane, und weiß, daß du dir darüber im klaren bist, welches gewaltige emotionale Risiko du eingehst, wenn du dir auch nur wünschst , so glücklich zu sein. Ich hoffe, daß du recht behältst, Schätzchen, und wette, daß es so ist. Ich wette, in Zukunft gibt es keine Blitze mehr für
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