Der Schwarm
feuerst. Aber du wirst aufpassen, dass du dir nicht selber dabei in den Fuß ballerst.«»Es sei denn, du bist beeinflusst.«
»Hypnotisiert.«
»Oder krank. Verwirrt. Sag ich doch. Sie sind verwirrt.«
»Vielleicht Gehirnwäsche?«
»Nun hört mal auf zu spinnen.«
Eine Weile sagte niemand etwas. Jeder am Tisch hing seinen Gedanken nach, während der Lärmpegel im Cardero's anstieg. Gesprächsfetzen von Nebentischen drangen herüber. Die Geschehnisse beherrschten die Presse und das öffentliche Leben. Jemand stellte lautstark einen Zusammenhang her zwischen den Vorfällen entlang der Küste und Havarien in asiatischen Gewässern. Vor Japan und in der Malakkastraße war es in rascher Folge zu einigen der schwersten Schiffskatastrophen der letzten Jahrzehnte gekommen. Man fachsimpelte und tauschte Theorien aus, ohne dass es den Anschein hatte, als ließen sich die Gäste von alldem sonderlich den Appetit verderben.
»Und wenn es doch an den Giften liegt?«, meinte Anawak schließlich. »PCB, der ganze Mist. Wenn irgendwas die Tiere rasend macht?«
»Allenfalls rasend vor Wut«, frotzelte Ford. »Ich sage ja, sie protestieren. Weil die Isländer Fangquoten beantragen, die Japaner ihnen zu Leibe rücken, die Norweger sich einen Scheiß um die IWC kümmern. – Weil selbst die Makah sie wieder jagen wollen. Hey! Das ist es!« Er grinste. »Vermutlich haben sie's in der Zeitung gelesen.«
»Für den Leiter des Wissenschaftlichen Beirats bist du irgendwie nicht richtig bei der Sache«, meinte Anawak. »Ganz abgesehen von deinem Ruf als seriöser Wissenschaftler.«
»Makah?«, echote Delaware.
»Ein Stamm der Nuu-Chah-Nulth«, sagte Ford. »Indianer im Westen Vancouver Islands. Sie versuchen seit Jahren schon juristisch durchzusetzen, dass sie den Walfang wieder aufnehmen dürfen.«
»Was? Wo leben die? Sind die wahnsinnig?«
»Der Herr erhalte dir deine zivilisierte Empörung, aber die Makah haben das letzte Mal 1928 Wale gejagt«, gähnte Anawak. Er konnte seine Augen kaum noch offen halten. »Sie waren es nicht, die Grauwale, Blauwale, Buckelwale und so weiter an den Rand des Aussterbens gebracht haben. Den Makah geht es um die Tradition und die Erhaltung ihrer Kultur. Sie argumentieren damit, dass kaum noch ein Makah den traditionellen Walfang beherrscht.«
»Na und? Wer essen will, soll in den Supermarkt gehen.«
»Bring Leons edle Fürsprache nicht durcheinander«, sagte Ford und schüttete sich Wein nach.
Delaware starrte Anawak an. Etwas in ihren Augen veränderte sich.
Bitte nicht, dachte er.
Dass er wie ein Indianer aussah, war offenkundig, aber nun begann sie die falschen Schlüsse zu ziehen. Er konnte die Frage förmlich heranrauschen hören. Er würde sich erklären müssen. Nichts hasste er mehr als den Gedanken daran. Er hasste ihn und wünschte, Ford hätte niemals von den Makah angefangen.
Schnell wechselte er einen Blick mit dem Direktor.
Ford verstand.
»Reden wir ein andermal darüber«, schlug er vor. Und bevor Delaware etwas erwidern konnte, sagte er: »Die Vergiftungstheorie sollten wir mit Oliviera, Fenwick oder Rod Palm besprechen, aber offen gesagt, ich glaube nicht dran. Die Belastung entsteht durch auslaufendes Öl und die Verklappung von Chlorkohlenwasserstoffen. Du weißt ebenso gut wie ich, wozu das führt. Schwächung des Immunsystems, Infektionen, vorzeitiger Tod. Nicht zum Wahnsinn.«
»Hat nicht irgendein Wissenschaftler ausgerechnet, dass die Orcas vor der Westküste in 30 Jahren ausgestorben sein werden?«, brachte sich Delaware wieder ins Gespräch.
Anawak nickte düster.
»In 30 bis 120 Jahren. Wenn es so weitergeht. Übrigens nicht allein wegen der Vergiftungen. Die Orcas verlieren ihre Nahrungsquelle, den Lachs. Wenn sie nicht am Gift zugrunde gehen, wandern sie aus. Sie müssen ihre Nahrung in Gebieten suchen, die sie nicht kennen, verfangen sich in Fischereigeschirr ... Es kommt alles zusammen.«
»Vergiss die Vergiftungstheorie«, meinte Ford. »Wenn es nur die Orcas wären, könnten wir darüber reden. Aber Orcas und Buckelwale in strategischer Eintracht... Ich weiß nicht, Leon.«
Anawak dachte nach.
»Ihr kennt meine Einstellung«, sagte er leise. »Ich bin weit davon entfernt, Tieren Absichten zu unterstellen oder ihre Intelligenz zu überschätzen, aber ... habt ihr nicht auch mitunter das Gefühl, dass sie uns loswerden wollen?«
Sie sahen ihn an. Er hatte erwartet, auf heftige Widerrede zu stoßen. Stattdessen nickte Delaware.
»Ja. Bis auf die
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