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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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an, exakt so, wie Roche es befürchtet hatte. Jedes der Wesen würde bis zu zehn Blutkörperchen in sich aufnehmen. In spätestens einer Dreiviertelstunde würden sie ihr Werk vollendet haben. Er sah weiterhin fasziniert zu und stellte fest, dass es sogar noch schneller ging, viel schneller, als er gedacht hatte.
    Nach fünfzehn Minuten hatte der Spuk ein Ende.
    Roche saß starr vor seinem Mikroskop. Dann notierte er:
    Vermutlich Pfiesteria piscicida.
    Das ›vermutlich‹ stand für letzte Reste von Zweifel, obschon Roche sicher war, soeben den Erreger klassifiziert zu haben, der für die Krankheits- und Todesfälle verantwortlich war. Was ihn störte, war der Eindruck, es mit einer Monsterausgabe von Pfiesteria piscicida zu tun zu haben. Das barg den Superlativ im Superlativ, weil Pfiesteria vielen an sich schon als Monster galt. Ein Monster von eben mal einem hundertstel Millimeter Durchmesser. Eines der kleinsten Raubtiere der Welt. Und zugleich eines der gefährlichsten.
    Pfiesteria piscicida war ein Vampir.
    Er hatte viel darüber gelesen. Die erste Begegnung der Wissenschaft mit Pfiesteria lag gar nicht so lange zurück. Es hatte in den Achtzigern begonnen, mit dem Tod von 50 Laborfischen an der North Carolina State University. An der Qualität des Wasser, in dem sie geschwommen waren, gab es augenscheinlich nichts zu beanstanden, sah man von Wolken winziger Einzeller ab, die sich im Aquarium tummelten. Man wechselte das Wasser und setzte neue Fische aus. Sie überlebten keinen Tag. Irgendetwas mordete sie mit großer Effizienz dahin. Es tötete Goldfische, Streifenbarsche, afrikanische Tilapias, oft binnen Stunden, manchmal in Minuten. Jedes Mal beobachteten die Wissenschaftler, wie sich die Opfer in Zuckungen wanden, bevor sie qualvoll krepierten. Jedes Mal tauchten aus dem Nichts die rätselhaften Mikroben auf, und ebenso schnell verschwanden sie wieder.
    Allmählich wurde das Bild klarer. Eine Botanikerin erkannte den unheimlichen Organismus als Geißeltierchen einer bislang unbekannten Spezies. Ein Dinoflagellat, eine Alge. Davon gab es viele. Die meisten waren harmlos, aber einige hatten sich schon lange als regelrechte Giftschleudern geoutet. Sie verseuchten ganze Muschelfarmen. Andere Dinoflagellaten lösten die weit gefährlicheren ›Roten Tiden‹ aus, die das Meer blutrot oder braun färbten. Auch von ihnen wusste man, dass sie Schalentiere befielen. Dennoch nahmen sich solche Vertreter harmlos aus gegen den neu entdeckten Organismus.
    Denn Pfiesteria piscicida unterschied sich von ihren Artgenossen. Sie griff aktiv an. In gewisser Weise erinnerte sie an Zecken. Nicht der Form halber, sondern weil sie sich durch ebensolche Geduld auswies. Scheinbar leblos lauerte sie auf dem Grund von Gewässern. Jeden einzelnen Organismus umgab eine Kapsel, eine Art Zyste, die ihn schützte. Auf diese Weise konnte Pfiesteria jahrelang ohne Nahrungausharren. Bis ein Schwarm Fische vorbeizog, deren Ausscheidungen zu Boden sanken und den Appetit des scheintoten Einzellers weckten.
    Was nun geschah, ließ sich nur als Blitzangriff beschreiben. Zu Milliarden lösten sich die Algen aus ihren Zysten und stiegen empor. Die beiden Geißeln am Körperende dienten dabei als Antriebssystem. Die eine rotierte wie ein Propeller, die andere steuerte den Organismus in die gewünschte Richtung. Heftete sich Pfiesteria an den Körper eines Fisches, setzte sie ein Gift frei, das die Nerven lähmte und zugleich münzgroße Löcher in die Haut fraß. Dann schob sie ihren Saugrüssel in die Wunden und nahm die Körpersäfte der sterbenden Beute in sich auf. War sie gesättigt, ließ sie von ihrem Opfer ab und verzog sich wieder auf den Grund, um sich erneut einzukapseln.
    An sich galten toxische Algen als normales Phänomen. Etwa so wie Pilze im Wald. Man wusste seit langem um die Giftstoffe mancher Algen, genau genommen seit biblischen Zeiten. Im Zweiten Buch Mose wurde ein Phänomen beschrieben, das mit verblüffender Genauigkeit auf eine ›Rote Tide‹ zu passen schien: Und alles Wasser wurde in Blut verwandelt. Die Fische starben, und der Strom stank, sodass die Ägypter das Wasser aus dem Nil nicht trinken konnten. Es war also nichts Besonderes, wenn Einzeller Fische mordeten. Nur wie und mit welcher Brutalität es geschah, war neu. Es schien, als habe eine Krankheit von den Gewässern der Welt Besitz ergriffen, deren spektakulärstes Symptom vorerst den Namen Pfiesteria piscicida trug. Giftattacken auf Meerestiere, neuartige

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