Der Schwarm
Umrüstung auf autonome Förderfabriken lagen. Nachdem er der Konzernspitze eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet hatte, übertrug man ihm schließlich den Bau einer Fabrik auf dem Grund der Tiefsee, die von der renommierten norwegischen Technologiefirma FMC Kongsberg entwickelt worden war. Es gab zu dieser Zeit schon eine ganze Reihe unterseeischer Fabriken, aber der Kongsberg-Prototyp war ein völlig neuartiges System, enorm kostensparend und geeignet, die Offshore-Förderung zu revolutionieren. Der Bau geschah mit Wissen und Billigung der norwegischen Regierung, dennoch fand er offiziell nie statt. Stone wusste, dass die praktische Inbetriebnahme streng genommen zu früh erfolgte. Besonders Greenpeace hätte auf einer Reihe zusätzlicher Tests bestanden. Tests, die Monate und Jahre in Anspruch genommen hätten. Das Misstrauen war verständlich, immerhin lag die Ölförderung in der Statistik menschlichen und moralischen Versagens ganz weit vorn. Kaum ein Interessengeflecht, das den Planeten überzog, schnürte ihm zugleich so sehr den Atem ab wie die sogenannten vitalen Ansprüche der Mineralölkonzerne. Also blieb das Projekt geheim. Selbst als Kongsberg die Fabrik als Konzeptstudie im Internet vorstellte, wurde nicht publik, dass Statoil sie längst in Betrieb genommen hatte. Am Grund der Tiefsee arbeitete ein Phantom, das seinen Erbauern nur darum nicht den Schlaf raubte, weil es einwandfrei funktionierte.
Nichts anderes hatte Stone erwartet. Nach endlosen Testreihen war er tatsächlich überzeugt gewesen, jedes Risiko ausgeschlossen zu haben. Was hätten zusätzliche Tests gebracht? Allenfalls hätten sie einer Mentalität des Zögerns Genüge getan, die er in den Strukturen des staatlich geführten Konzerns zu erspüren glaubte und die er verachtete wie alles und jeden, der zögerte. Außerdem schlossen zwei Faktorenjedes weitere Warten kategorisch aus. Faktor eins war Stones erwitterte Chance, als technologischer Wegbereiter Einzug in die geräumigeren Büros des Management Boards zu halten. Faktor zwei war, dass der Ölkrieg trotz Instrumentalisierung internationaler Politik und bewaffneter Eingriffe in die Herrschaftsverhältnisse souveräner Staaten für alle Seiten verloren zu gehen drohte. Am Ende spielte es keine Rolle, wann der letzte Tropfen Öl floss, sondern wann die Förderung ins Stadium der Unwirtschaftlichkeit wechselte. Die typische Ertragsentwicklung einer Quelle folgte nun mal brav der Physik. Nach dem ersten Anbohren schoss das Öl unter Hochdruck heraus und sprudelte oft jahrzehntelang weiter. Mit der Zeit jedoch verringerte sich der Druck. Die Erde schien das Öl nicht länger herausrücken zu wollen, sie hielt es durch kapillarischen Druck in winzigen Poren fest, und was anfangs von selber ausgetreten war, musste nun mit einer Menge Aufwand herausgespült werden. Das kostete Unsummen. Die Fördermenge sank rapide, lange bevor das Lager erschöpft war. Wie viel auch immer noch da unten sein mochte – sobald der Aufwand zur Gewinnung dieses Öls mehr Energie verschlang, als es lieferte, ließ man es besser in der Erde.
Hierin lag einer der Gründe, warum sich die Energieexperten am Ende des zweiten Jahrtausends so fulminant verschätzt hatten, als sie die fossilen Reserven auf Jahrzehnte für gesichert erklärten. Genau genommen hatten sie zwar Recht. Die Erde war ölgetränkt. Aber entweder kam man nicht dran, oder der Ertrag stand in keinem Verhältnis zum Aufwand.
Dieses Dilemma hatte Anfang des dritten Jahrtausends zu einer gespenstischen Situation geführt. Die OPEC, in den achtziger Jahren totgesagt, feierte eine zombiehafte Renaissance. – Nicht weil sie das Dilemma löste, sondern einfach, weil sie über die größeren Reserven verfügte. Den Nordseestaaten, die sich von der OPEC nicht die Preise diktieren lassen wollten, blieb damit nur, die Kosten der Förderung drastisch zu senken und ansonsten der Tiefsee mit vollautomatisierten Systemen auf den Leib zu rücken. Die Tiefsee quittierte das neu erwachte Interesse ihrerseits mit einer ganzen Reihe von Problemen, angefangen bei den extremen Druck- und Temperaturverhältnissen, verhieß jedoch demjenigen, der sie löste, ein zweites Eldorado. Nicht in alle Ewigkeit zwar, aber lange genug für eine Branche, die davon lebte, dass die Welt in suchtartiger Abhängigkeit von Öl und Gas stehen geblieben war.
Stone, dessen ganzes Leben bestimmt war von der Sehnsucht, vorn zu liegen, hatte damals eine Expertise verfasst, die
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