Der Schwarm
gar nicht ein paar Würmer. Das Boot kommt vier Kilometer tief ...«
»In viertausend Metern kollabiert die Hülle«, berichtigte ihn Alban trocken. »Und zugelassen ist das Boot bis tausend.«
»Das weiß ich selber. Na und? Wir wollen auf neunhundert gehen, wer redet denn von viertausend? Was soll denn überhaupt passieren, um Himmels willen?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sich der Meeresboden unter uns verändert hat und dass immer mehr Gas in die Wassersäule gelangt. Das Sonar kann die Fabrik nicht orten, wir haben nicht die geringste Vorstellung davon, was da unten los ist.«
»Vielleicht ist was abgerutscht. Oder eingebrochen. Im schlimmsten Fall ist unsere Fabrik ein Stück weggesackt. So was kommt vor.«
»Ja. Vielleicht.«
»Also, wo ist das Problem?«
»Das Problem ist, dass ein Roboter es ebenso täte«, sagte Alban genervt. »Aber Sie wollen ja unbedingt den Helden spielen.«
Stone zeigte mit zwei Fingern auf seine Augen. »Damit kann ich immer noch am besten einschätzen, was los ist. Verstehen Sie? Direkt vor Ort. So löst man Probleme, man geht hin und packt sie an.«
»Gut. Okay.«
»Also, wann gehen wir runter?« Stone sah auf die Uhr. »Ah, in einer halben Stunde. Nein, zwanzig Minuten. Wunderbar.«
Er winkte Eddie im Innern des Tauchboots zu. Der Pilot hob kurz die Hand und widmete sich wieder der Konsole. Stone grinste.
»Was wollen Sie überhaupt? Wir haben den besten Piloten, den wir bekommen konnten. Und notfalls steuere ich das Ding selber.«
Alban schwieg.
»Also wäre das geklärt. Schön. Ich will nochmal den Tauchplan durchgehen. Bin in meiner Kabine, wenn was ist. Und bitte, Jean – holen Sie endlich diese verdammten Filmleute her. Holen Sie sie her, sofern sie nicht über Bord gefallen sind.«
Trondheim, Norwegen
»Rasierwasser«, überlegte Johanson.
Konnte es sein, dass ihm das Rasierwasser ausgegangen war? Unmöglich. Er war Sigur Johanson, der Lagerist der schönen Dinge. Wein und Kosmetika gingen nicht einfach aus. Irgendwo musste er noch eine Flasche von dem Kiton Eau de Toilette haben.
Ungeduldig ging er zurück ins Bad und durchstöberte den Spiegelschrank. Er wusste, dass er allmählich das Haus verlassen sollte. Der Helikopter wartete auf dem Landeplatz des Forschungszentrums, um ihn zu dem Treffen mit Karen Weaver zu bringen. Aber für jemanden, der Wert auf inszenierte Schlampigkeit legte, gestaltete sich das Packen eines Koffers ungleich schwerer als für einen ordentlichen Menschen. Ordentliche Menschen verschraubten sich nicht in derlei Abstrusitäten, wie man möglichst gekonnt den Farbton des Jacketts verfehlte.
Hinter zwei Dosen Haarwachs wurde er fündig.
Er packte die Flasche in den Kulturbeutel, quetschte ihn zusammen mit einem Gedichtband von Walt Whitman und einem Buch über Portwein in die Reisetasche und ließ die Scharniere zuschnappen. Es wareine teure Tasche im Stil des Handgepäcks, wie sie der Londoner Adel für Landpartien zu benutzen pflegte – Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Die Lederschlaufen waren handgenäht, und dass der Griff ein wenig abgewetzt aussah, fand entschieden Johansons Beifall.
Der fünfte Tag!
Hatte er die CD eingepackt? Er hatte eine gebrannt mit den Daten, die seine wundersame Idee vom höheren Plan dokumentierten. Vielleicht ergab sich eine Gelegenheit, sie mit der Journalistin zu besprechen. Er sah noch einmal nach.
Da war sie, begraben unter Hemden und Socken.
Mit federnden Schritten verließ er sein Haus in der Kirkegata und stieg in den Geländewagen auf der anderen Seite der Straße. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich seit dem frühen Morgen aufgekratzt, erfüllt von beinahe hysterischem Tatendrang. Kurz bevor er den Motor startete, wanderte sein Blick noch einmal über die Fassade seines Hauses. Die Rechte mit dem Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger verharrte unmittelbar vor dem Zündschloss.
Plötzlich wusste er, was ihn umtrieb.
Er versuchte sich abzulenken. Aktionismus gegen Nachdenken. Pfeifen im Walde. Trali, trala, ist irgendwas?
Feuchter Dunst lag über Trondheim, der alle Konturen verwischte. Selbst sein Haus auf der anderen Straßenseite erschien ihm flächiger als sonst. Es sah beinahe aus wie ein Gemälde.
Was geschah mit den Dingen, die man liebte?
Warum hatte er so oft stundenlang vor den Bildern van Goghs gestanden und einen Frieden in sich gefühlt, als wären sie nicht von einem verzweifelten Paranoiker gemalt worden, sondern von einem restlos
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