Der Schwarm
Bedauern über die höheren Orts verordnete Funkstille zum Ausdruck gebrachthatte. Von Li mit einem Maulkorb belegt, war er notgedrungen nicht erreichbar gewesen – und hatte dabei einige Male direkt neben dem Telefon gestanden, während seine Sekretärin Anawak in die Wüste schickte.
Die Präsentation stand. Vorerst konnte Anawak nichts tun als warten. Also war er Tennis spielen gegangen, während die Welt ins Chaos stürzte und Europa unter Wasserbergen versank, um zu sehen, wie das Laufen seinem Knie bekäme. Sein Partner war ein kleiner Franzose mit buschigen Brauen und gewaltiger Nase. Er hieß Bernard Roche, ein Bakteriologe, der am Vorabend aus Lyon eingetroffen war. Während sich Amerika mit den größten Tieren des Planeten rumschlug, kämpfte Roche einen aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die kleinsten.
Anawak sah auf die Uhr. In einer halben Stunde würden sie zusammentreffen. Das Hotel war für den Touristenverkehr gesperrt worden und fest in Regierungshand, allerdings wirkte es bevölkert wie zur Hochsaison. Einige hundert Leute mussten inzwischen hier sein. Weit über die Hälfte davon gehörte auf die eine oder andere Weise der United States Intelligence Community an. Die meisten waren Mitarbeiter der CIA, die das Chateau kurzerhand in eine Kommandozentrale umgewandelt hatten. Eine ganze Abteilung hatte die NSA entsandt, Amerikas größter Geheimdienst, der für alle Arten der elektronischen Aufklärung, für Datensicherheit und Kryptographie zuständig war. Die NSA bewohnte das vierte Stockwerk. Der fünfte Stock war von Mitarbeitern des US-Verteidigungsministeriums und der kanadischen Nachrichtendienste in Beschlag genommen worden. Darüber logierten Vertreter des britischen SIS und des Security Service, außerdem Delegationen des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr und des Bundesnachrichtendienstes aus Deutschland. Die Franzosen hatten eine Abordnung der Direction de la Surveillance du Territoire geschickt, Schwedens militärischer Nachrichtendienst war ebenso zugegen wie Finnlands Pääesikunnan tiedusteluosasto. Es war ein beispielloses Zusammentreffen von Geheimdiensten, eine Menschen- und Materialschlacht ohnegleichen mit dem Ziel, die Welt wieder zu verstehen.
Anawak massierte sein Bein.
Plötzlich verspürte er wieder schmerzhafte Stiche. Er hätte nicht gleich Tennis spielen sollen. Ein Schatten zog über ihn hinweg, als ein weiterer Militärhubschrauber mit gesenkter Nase zur Landung ansetzte. Anawak sah zu, wie die gewaltige Maschine herabsank, straffte sich und ging ins Innere.
Überall waren Menschen unterwegs. Alles geschah im Stechschritt, zügig und dennoch ohne Hast, ein Ballett der Geschäftigkeit unter demkirchenartigen Giebeldach der Halle. Die Hälfte der Leute schien beständig zu telefonieren. Die anderen hatten die gemütlichen Sitzecken unter den Natursteinpfeilern, die das Mittelschiff der Halle von den Seitenschiffen trennten, mit ihren Laptops belegt, schrieben oder starrten konzentriert auf ihre Bildschirme. Anawak versuchte, mit niemandem zusammenzustoßen, und ging nach nebenan in die Bar, wo Ford mit Oliviera stand. Sie waren in Begleitung eines hoch gewachsenen Mannes, der einen Schnurrbart trug und unglücklich dreinblickte.
»Leon Anawak, Gerhard Bohrmann«, übernahm Ford die Vorstellung. »Schüttel Gerhard nicht zu heftig die Hand, sonst fällt sie ab.«
»Tennisarm?«, fragte Anawak.
»Kugelschreiber.« Bohrmann grinste säuerlich. »Eine geschlagene Stunde lang habe ich mitgeschrieben, was man vor zwei Wochen noch per Mausklick abrufen konnte. Man fühlt sich wie im Mittelalter.«
»Ich dachte, das läuft jetzt alles über Satellit.«
»Die Satelliten sind überlastet«, konstatierte Ford.
»Ab morgen ist alles wieder heile.« Oliviera nippte an einer Tasse Tee. »Ich hörte eben, sie haben ein Netz für das Hotel freigeschaltet.«
»Wir sind in Kiel nur unzureichend auf Satelliten eingestellt«, sagte Bohrmann düster.
»Niemand ist auf all das eingestellt.« Anawak bestellte ein Wasser. »Seit wann sind Sie hier?«
»Seit vorgestern. Ich habe an der Präsentation mitgearbeitet.«
»Ich auch. Komisch. Wir hätten uns über den Weg laufen müssen.«
»Kaum.« Bohrmann schüttelte den Kopf. »Das Hotel ist wie ein Schweizer Käse, voller Gänge. Was ist Ihr Fachgebiet?«
»Meeressäuger. Intelligenzforschung.«
»Leon hat ein paar unangenehme Begegnungen mit Buckelwalen hinter sich«, bemerkte Oliviera. »Sie haben es ihm
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