Der Schwarm
Einfluss auf ihr Verhalten. Etwas könnte sich in ihrem Zentrum verbergen, das die Substanz in den Köpfen der Tiere stimuliert. Vielleicht injiziert es sie auch. Ein Ding mit aufblitzenden, peitschenartigen Tentakeln. Jetzt gehen wir einen Schritt weiter und nehmen an, dass diese Tentakel die Gallerte nicht nur injizieren, sondern dass sie selber die Gallerte sind! Sollte das stimmen, dann sähen wir hier in großem Maßstab, was Dr. Anawak am Rumpf der Barrier Queen in Klein begegnete. Wir hätten einen unbekannten Organismus aufgespürt, der Schalentiere steuert, Wale in den Wahnsinn und sein Unwesen zwischen Schiffe versenkenden Muscheln treibt. Sehen Sie, Herrschaften, wir sind schon ganz weit! Jetzt müssen Sie nur noch rausfinden, was es ist, warum es da ist, in welcher Beziehung die Gallerte zur Wolke steht – ach ja, und welcher Schweinehund den ganzen Mist in irgendeinem Laboratorium zusammengepanscht hat. Vielleicht hilft Ihnen das dabei.«
Vanderbilt zeigte den Film ein weiteres Mal. Diesmal erschien am unteren Bildrand ein Spektrogramm. Starke Frequenzausschläge waren zu erkennen.
»Der URA ist ein talentiertes Kerlchen. Kurz bevor sich die Wolke manifestierte, zeichneten seine Hydrophone etwas auf. Zu hören ist nichts, weil wir eben keine Wale, sondern armselige Menschlein mit zugekleisterten Ohren sind. Ultra- und Infraschall kann man allerdings hörbar machen, wenn man die entsprechenden Tricks auf Lager hat. So wie unsere Spanner-Kollegen von SOSUS.«
Anawak horchte auf. Er kannte SOSUS. Mehrfach hatte er damit gearbeitet. Die NOAA, die National Oceanic and Atmospheric Administration, betrieb eine Reihe von Projekten, die sich mit der Erfassung und Auswertung akustischer Phänomene unter Wasser beschäftigten. Zusammengefasst liefen sie unter dem Oberbegriff Acoustic Monito ring Project. Das Werkzeug, das die NOAA für den unterseeischen Lauschangriff benutzte, war ein Relikt des Kalten Krieges. SOSUS stand abgekürzt für Sound Surveillance System, ein Netz empfindlicher Hydrophone, das die US Navy während der Sechziger in den Weltmeeren installiert hatte, um den Missionen sowjetischer Unterseeboote folgen zu können. Seit 1991, nachdem der Kalte Krieg mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion geendet hatte, durften auch die zivilen NOAA-Forscher Daten des Systems auswerten.
Auf diese Weise war der Wissenschaft offenbar geworden, dass in den Weiten der Ozeane alles andere als Stille herrschte. Vor allem im Frequenzbereich unterhalb von 16 Hertz spielte sich geradezu infernalischer Lärm ab. Um die Geräusche für menschliche Ohren hörbar zu machen, mussten sie mit 16facher Geschwindigkeit abgespielt werden. Plötzlich klang ein Unterwasserbeben wie Donnergrollen, der Gesang von Buckelwalen erinnerte an Vogelgezwitscher, während Blauwale ihren Artgenossen in dröhnendem Stakkato Botschaften über Hunderte von Kilometern schickten. Drei Viertel der Aufnahmen wurden dominiert von einem rhythmischen, extrem lauten Wummern – Luftkanonen, die Ölgesellschaften zur Erkundung der Tiefseegeologie einsetzten.
Mittlerweile hatte die NOAA SOSUS durch eigene Systeme ergänzt. Mit jedem Jahr baute die Organisation das Netz der Hydrophone weiter aus. Und jedes Mal hörten die Forscher ein bisschen mehr.
»Einzig anhand des Geräuschs können wir heute sagen, worum es sich handelt«, erklärte Vanderbilt. »Ist es ein kleines Schiff? Fährt es schnell? Welche Art Antrieb benutzt es? Wo kommt es her, wie weit ist es entfernt? Die Hydrophone verraten uns alles. Ihnen dürfte bekannt sein, wie gut Wasser den Schall leitet und wie schnell er sich unter Wasser fortpflanzt, nämlich mit Geschwindigkeiten zwischen fünf- und fünfeinhalbtausend Stundenkilometern. Wenn ein Blauwal vor Hawaiieinen fahren lässt, rumpelt es knapp eine Stunde später in einem kalifornischen Kopfhörer. SOSUS kann aber noch mehr als den Impuls registrieren, es sagt uns auch, wo er herkommt. Kurz, das Sound-Archiv der NOAA umfasst Abertausende von Geräuschen: Klicken, Grummeln, Rauschen, Blubbern, Quietschen und Raunen, bioakustische und seismische Laute, Umweltlärm, und alles können wir zuordnen -bis auf wenige Ausnahmen. Dr. Murray Shankar von der NOAA weilt unter uns, welch vorausschauender Schachzug. Er wird freudig darangehen, das Folgende zu kommentieren.«
Aus der ersten Reihe erhob sich ein untersetzter, schüchtern wirkender Mann mit indischem Gesichtsschnitt und Goldrandbrille. Vanderbilt rief ein weiteres Spektrogramm
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