Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
heißt er?«
    »Komischer Name. – Wakawaka oder so ähnlich.«
    »Oh, Leon Anawak. Haben Sie seinen Lebenslauf gelesen?«
    »Nein, ich hab's nur überflogen.«
    »Er ist kein Asiate.« Li steigerte das Tempo auf zwölf Stundenkilometer. »Ich bin das mit Abstand Asiatischste im Umkreis des kompletten Whistlers.«
    Der Präsident lachte.
    »Ach Jude. Sie könnten vom Mars stammen, und ich würde Ihnen jede Vollmacht erteilen. Wirklich schade, dass Sie nicht zum Baseballgucken rüberkommen können. Wir treffen uns auf der Ranch, wenn nichts dazwischenkommt. Meine Frau mariniert Rippchen.«
    »Nächstes Mal, Sir«, sagte Li herzlich.
    Sie fachsimpelten noch eine Weile über Baseball. Li insistierte nicht weiter auf der Idee, die Vereinigten Staaten an die Spitze der Weltgemeinschaft zu setzen. Spätestens in zwei Tagen würde er glauben, es sei seine gewesen. Es reichte, ihm die Injektion verpasst zu haben.
    Nach dem Gespräch lief sie noch einige Minuten. Dann setzte sie sich schweißnass, wie sie war, an den Flügel und legte die Finger auf die Tasten. Sie konzentrierte sich.
    Sekunden später perlte Mozarts Klaviersonate in G durch die Suite.
     
     
    KH-12
    Lis Klavierspiel verlor sich wie ein nach allen Seiten schwächer werdender Duft in den Fluren des neunten Stockwerks und trieb aus dem halb geöffneten Fenster der Suite nach draußen. Einhundert Meter über dem Erdboden breiteten sich die Schallwellen ringförmig nach allen Seiten aus. Am höchsten Punkt des Chateaus, das wie ein Märchenschloss über einen spitzgiebeligen Wohnturm verfügte, hätte ein geübtes Ohr sie zwar leise, aber noch deutlich wahrgenommen. Oberhalb des Giebels begannen sie sich zu zerstreuen. Nach einhundert Metern hatten sie sich mit einer Vielzahl anderer Wellen vermischt, und je höher es hinaufging, desto leiser wurden auch diese Geräusche. Ein Kilometer über dem Erdboden waren immer noch startende Automotoren zu hören, der mäkelige Lärm kleiner Propellerflugzeuge und die Glocke der presbyterianischen Kirche im üblicherweise geschäftigen Whistler Village, das nunmehr Teil der Sperrzone geworden war. Das Geknatter der Militärhubschrauber, die als wichtigste Verbindung zur Außenwelt dienten, wurde erst ab zweitausend Meter schwächer.
    Aus dieser Höhe genoss man einen atemberaubenden Blick auf das Hotel. Wie ein prophetischer Traum Ludwig des Zweiten lag es inmitten ausgedehnter, nach Westen sanft ansteigender Wälder, eben noch mit bloßem Auge zu erkennen. Auf den angrenzenden Bergrücken schimmerten zerfurchte Schneeflächen.
    Dann erstarben auch die letzten Geräusche vom Erdboden.
    Vornehmlich machten sich nun Düsenflugzeuge in der Start- und Landephase bemerkbar. In zehn Kilometern Höhe war das Chateau mit der Umgebung verschmolzen. Linienmaschinen zogen ihre Bahn. Der Horizont begann sich merklich zu krümmen. Tief liegende Wolkenfelder unter strahlend blauem Himmel gaukelten Schneefelder und Berge von Packeis vor, ein trügerischer Boden aus Wasserdampf. Weitere fünf bis zehn Kilometer höher durchschnitt der Lärm von Überschallflugzeugen die immer dünner werdende Atmosphäre. Die Troposphäre hatte den Launen des Wetters gehört, die Stratosphäre gehörte dem Ozon, das einen Großteil der ultravioletten Strahlung filterte. Es wurde wieder wärmer. In dieser Höhe waren Wolken wenig mehr als ätherische Formationen, deren Schillern an Perlmutt erinnerte. Silbrige Wetterballons reflektierten das Sonnenlicht und sorgten für Ufosichtungen. Durch die perfekte Stille 20 Kilometer über dem Erdboden hatte 1962 die legendäre U2 ihren verstohlenen Kurs Richtung Kuba angetreten, um die Stationierung sowjetischer Atomraketen nachzuweisen. Der Pilot des Aufklärungsflugzeugs hatte wegen der extremen Höhe Astronautenkleidung tragen müssen. Es war einer der kühnsten Flüge aller Zeiten gewesen unter einem Himmel, dessen Tiefblau den Weltraum schon erahnen ließ.
    In 80 Kilometern Höhe leuchteten noch vereinzelt gitterförmige Nachtwolken. Die Temperatur betrug -113 Grad Celsius. Nichts hier oben ließ auf menschliche Anwesenheit schließen, sah man von der gelegentlichen Präsenz startender und landender Raumfahrzeuge ab. Das Tiefblau wechselte über in Schwarzblau. Hier begann das Reich all jener heidnischen Götter, die von der modernen Wissenschaft als Polarlichter und verglühende Meteoriten entlarvt worden waren. Nirgendwo hatten die physikalischen Besonderheiten derart zur Bildung von Mythen und Legenden

Weitere Kostenlose Bücher