Der Schwarm
Südpol, was sie in die Lage versetzte, innerhalb von 24 Stunden die gesamte Erde zu fotografieren. Mit Einsetzen der Angriffe vor Vancouver Island waren einige von ihnen auf 200 Kilometer abgesenkt worden. Keyhole, Lacrosse und 24 neue optische Hochpräzisionssatelliten in extrem erdnahen Umlaufbahnen, von Amerika als Antwort auf die Anschläge des 11. September in den Orbit geschossen, bildeten nun eine Konstellation, deren Leistungsfähigkeit sogar dem viel gerühmten deutschen SAR-Lupe-System den Rang ablief.
Um 20.00 Uhr Ortszeit erhielten zwei Männer in einem unterirdischen Raum bei Buckley Field in der Nähe von Denver einen Anruf. Die Buckley Field Station gehörte zu mehreren geheimen Bodenstationen der amerikanischen Bildaufklärungsbehörde NRO, die mit der Planung der Satellitenspionage für die amerikanische Luftwaffe beauftragt war. Sie arbeitete eng zusammen mit der nationalen Sicherheitsund Dechiffrierbehörde NSA. Deren Auftrag bestand im Wesentlichen darin, zu lauschen und abzuhören. Den amerikanischen Behörden gestattete die Allianz der beiden GeheimdiensteÜberwachungsmöglichkeiten ohne Beispiel. Mittlerweile überzog ein größtenteils automatisiertes Netzwerk den Planeten, Echelon genannt, dessen verschiedenste technischen Systeme die internationale Kommunikation überwachten, von Satelliten über Mikrowellenradio bis hin zur Glasfaser.
Die beiden Männer saßen unterhalb einer riesigen Satellitenschüssel. Umgeben von Monitoren empfingen sie Daten von Keyhole, Lacrosse und anderen Sonden in Echtzeit, interpretierten und verarbeiteten sie und leiteten sie an zuständige Stellen weiter. Beide waren ihrer Funktion nach Geheimagenten, wenngleich sie in nichts dem Bild entsprachen, das man sich gemeinhin von Agenten machte. Sie trugen Jeans und Turnschuhe und sahen eher aus wie Mitglieder einer Grunge-Band.
Der Anrufer informierte die Männer über den Notruf eines Fischkutters vor der Nordostspitze von Long Island. In Höhe von Montauk war es offenbar zu einer Kollision gekommen, die auf den Angriff eines Pottwals schließen ließ – falls die Meldung stimmte. Die allgemeine Hysterie gipfelte in einer Flut falscher Alarme. Angeblich war ein größeres Schiff zur Unglücksstelle unterwegs, aber auch diese Meldung ließ sich nicht verifizieren. Der Kontakt zur Mannschaft war Sekunden nach dem Notruf abgerissen.
KH-12-4, einer der Crystal-Keyhole-Satelliten, näherte sich südöstlich von Long Island. Er befand sich in günstiger Position. Die Direktive des Anrufers an die Bodenmannschaft lautete, das Teleskop unverzüglich auf die mögliche Unglücksstelle auszurichten.
Einer der Männer gab eine Reihe von Befehlen ein.
195 Kilometer über der Atlantikküste raste KH-12-4 dahin, eine teleskopbestückte Röhre von 15 Metern Länge und viereinhalb Metern Durchmesser, die inklusive Treibstoff beinahe 20 Tonnen wog. Zu beiden Seiten entfalteten sich große Sonnensegel. Der Befehl aus Buckley Field setzte einen schwenkbaren Spiegel vor dem Objektiv in Bewegung. Damit konnte der Satellit nach allen Seiten einen Bereich von bis zu 1000 Kilometern scannen. In diesem Fall reichte eine winzige Korrektur. Da es früher Abend war, schalteten sich die Restlichtverstärker ein und erhellten das Bild wie zur Mittagszeit. Alle fünf Sekunden schoss KH-12-4 ein Foto und funkte die Daten an einen Relaissatelliten, der sie ins Datenzentrum von Buckley Field schickte.
Die Männer starrten auf den Monitor.
Sie sahen Montauk dort unten liegen, den malerischen alten Ort mit seinem berühmten Leuchtturm. Aus 195 Kilometern Höhe wirkte Montauk allerdings nicht malerischer als ein Fleck auf einer Straßenkarte. Strichdünne Straßen durchzogen eine hell gesprenkelteLandschaft. Die Sprenkel waren Gebäude. Der Leuchtturm selber erschien als kaum wahrnehmbarer weißer Punkt am Ende einer Landzunge.
Drum herum erstreckte sich der Atlantik.
Der Mann, der den Satelliten steuerte, definierte den Bereich, in dem das Schiff angeblich angegriffen worden war, gab die Koordinaten ein und zoomte in die nächste Vergrößerungsstufe. Die Küste verschwand aus dem Blickfeld. Nur noch Wasser war zu sehen. Kein Schiff.
Der andere Mann sah zu und aß frittierten Fisch aus einer Papiertüte.
»Mach hin«, sagte er.
»Nur die Ruhe.«
»Nix mit Ruhe. Sie wollen die Auskunft sofort.«
»Scheiß drauf, was sie wollen.« Der Steuermann schwenkte den Spiegel vor dem Teleskop um eine weitere Winzigkeit. »Das kann endlos dauern,
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