Der Schwarm
Einige Meter entfernt. Trotzdem nimmt seine Oberfläche beinahe das ganze Bild ein. Was folgt daraus?«
»Der Teil, den wir sehen, wird um die zehn bis zwölf Quadratmeter groß sein.«
»Den wir sehen!« Sie machte eine Pause. »Das Licht in den Randbereichen deutet darauf hin, dass wir das meiste wahrscheinlich nicht gesehen haben.«
Johanson kam eine Idee.
»Es könnte planktonischer Natur sein«, sagte er. »Mikroorganismen. Da gibt es einiges, was leuchtet.«
»Und wie erklärst du dir das Muster?«
»Die hellen Linien? Zufall. Wir glauben, dass es ein Muster ist. Wir haben auch gedacht, die Marskanäle bilden ein Muster.«
»Ich glaube nicht, dass es Plankton ist.«
»So genau kann man das nicht sehen.«
»Doch, kann man. Schau dir das mal an.«
Lund rief die folgenden Bilder auf. Das Objekt zog sich darauf mehr und mehr ins Dunkle zurück. Tatsächlich war es weniger als eine Sekunde lang zu sehen gewesen. Die zweite und dritte Vergrößerung zeigten immer noch die schwach lumineszierende Fläche mit den Linien, die ihre Position im Verlauf der Sequenz zu verändern schienen. Auf der vierten war alles verschwunden.
»Es hat das Licht ausgemacht«, sagte Johanson verblüfft.
Er überlegte. Bestimmte Krakenarten kommunizierten über den Weg der Biolumineszenz. Es war gar nicht so ungewöhnlich, wenn ein Tier angesichts einer plötzlichen Bedrohung sozusagen den Schalter umlegte und sich in die Finsternis verabschiedete. Aber dieses Tier war überaus groß. Größer als jede bekannte Krakenart.
Eine Schlussfolgerung drängte sich auf, die ihm nicht gefiel. Sie gehörte nicht an den norwegischen Kontinentalrand.
»Architheutis«, sagte er.
»Riesenkalmare.« Lund nickte. »Der Gedanke kommt einem zwangsläufig. Aber es wäre das erste Mal, dass so was in diesen Gewässern auftaucht.«
»Es wäre das erste Mal, dass so was überhaupt lebend auftaucht.«
Aber das stimmte nicht ganz. Lange Zeit waren Geschichten um Architheutis als Seemannsgarn verschrien gewesen. Dann hatten angespülte Kadaver den Beweis für seine Existenz erbracht – beinahe erbracht, weil Kalmarfleisch wie Gummi war. Je mehr man daran zog, desto länger wurde es, zumal im Zustand der Zersetzung. Vor wenigen Jahren endlich waren Forschern östlich von Neuseeland winzige Jungtiere ins Netz gegangen, deren genetisches Profil keinen Zweifel daran ließ, dass sie sich binnen achtzehn Monaten in bis zu zwanzig Meter lange, zwanzig Zentner schwere Riesenkalmare verwandeln würden. Der einzige Schönheitsfehler blieb, dass nie ein Mensch ein solches Tier lebend gesehen hatte. Architheutis hauste in der Tiefsee, und ob er leuchtete, war mehr als fraglich.
Johanson furchte die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf.
»Nein.«
»Was nein?«
»Es spricht zu vieles dagegen. Das ist einfach nicht die Gegend für Riesenkalmare.«
»Schon, aber ....« Lunds Hände zerteilten die Luft. »Wir wissen nicht wirklich, wo sie sich rumtreiben. Wir wissen nichts.«
»Sie gehören hier nicht hin.«
»Diese Würmer gehören hier auch nicht hin.«
Schweigen breitete sich aus.
»Und wenn schon«, sagte Johanson schließlich. »Architheuten sind scheu. Was kümmert es euch? Bis heute ist kein Mensch je von einem Riesenkraken angegriffen worden.«
»Augenzeugen sagen was anderes.«
»Mein Gott, Tina! Sie mögen ein bisschen an dem einen oder anderen Boot gezogen haben. Aber wir unterhalten uns doch hier nicht ernsthaft über die Bedrohung der Erdölförderung durch Riesenkraken. Du musst zugeben, das ist lächerlich.«
Lund betrachtete skeptisch die Vergrößerungen der Bilder. Dann schloss sie die Datei.
»Okay. Hast du was für mich? Irgendwelche Resultate?«
Johanson zog den Umschlag hervor und öffnete ihn. Ein dicker Packen eng bedruckten Papiers steckte darin.
»Du lieber Himmel!«, entfuhr es Lund.
»Warte. Es muss eine Zusammenfassung geben. – Ah, hier!«
»Lass sehen.«
»Gleich.« Er überflog den Kurzbericht. Lund stand auf und ging zum Fenster. Dann begann sie im Raum herumzuwandern.
»Sag schon.«
Johanson zog die Brauen zusammen und blätterte in dem Packen.
»Hm. Interessant.«
»Spuck's aus.«
»Sie bestätigen, dass es sich um Polychäten handelt. Sie schreiben außerdem, sie seien zwar keine Taxonomen, gelangen aber zu dem Resultat, dass der Wurm verblüffende Ähnlichkeit mit Hesiocaeca methanicola aufweist. In diesem Zusammenhang wundern sie sich über die extrem ausgeprägten Kiefer und schreiben weiter ... das ist
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