Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
meine Herren», sagt er. «Wie ich annehme, hat Eduard euch vom Essen ausschließen wollen. Das Gulasch ist gut, könnte nur mehr Zwiebeln haben. Kommt, wir rücken gern zusammen.»
Wir gruppieren uns um den Tisch. Willy kennt unseren Krieg mit Eduard und verfolgt ihn mit dem Interesse des geborenen Spielers.
«Kellner!» rufe ich.
Ein Kellner, der vier Schritte entfernt auf Plattfüßen an uns vorüberwatschelt, ist plötzlich taub. «Kellner!» rufe ich noch einmal.
«Du bist ein Barbar», sagt Georg Kroll. «Du beleidigst den Mann mit seinem Beruf. Wozu hat er 98 Revolution gemacht? Herr Ober!»
Ich grinse. Es ist wahr, daß die deutsche Revolution von 98 die unblutigste der Welt war. Die Revolutionäre selbst waren von sich so erschreckt, daß sie sofort die Bonzen und Generäle der alten Regierung zu Hilfe riefen, um sie vor ihrem eigenen Mutanfall zu schützen. Die taten es auch großmütig. Eine Anzahl Revolutionäre wurden umgebracht, die Fürsten und Offiziere erhielten großartige Pensionen, damit sie Zeit hatten, Putsche vorzubereiten, Beamte bekamen neue Titel, Oberlehrer wurden Studienräte, Schulinspektoren Schulräte, Kellner erhielten das Recht, mit Oberkellner angeredet zu werden, frühere Parteisekretäre wurden Exzellenzen, der sozialdemokratische Reichswehrminister durfe voller Seligkeit echte Generäle unter sich in seinem Ministerium haben, und die deutsche Revolution versank in rotem Plüsch, Gemütlichkeit, Stammtisch und Sehnsucht nach Uniformen und Kommandos.
«Herr Ober!» wiederholt Georg.
Der Kellner bleibt taub. Es ist der alte, kindische Trick Eduards; er versucht, uns mürbe zu machen, indem er die Kellner instruiert, uns nicht zu bedienen.
«Ober! Kerl, können Sie nicht hören?» brüllt plötzlich eine Donnerstimme in erstklassigem preußischem Kasernenhofon durch den Speisesaal. Sie wirkt auf der Stelle, wie ein Trompetensignal auf alte Schlachtpferde. Der Kellner hält an, als hätte er einen Schuß in den Rücken bekommen, und dreht sich um; zwei andere stürzen von der Seite herbei, irgendwo klappt jemand die Hacken zusammen, ein militärisch aussehender Mann an einem Tisch in der Nähe sagt leise: «Bravo» – und selbst Eduard kommt mit wehendem Bratenrock, um nach dieser Stimme aus höheren Sphären zu forschen. Er weiß, daß weder Georg noch ich so kommandieren können.
Wir sehen uns sprachlos nach Renée de la Tour um. Sie sitzt friedlich und mädchenhaf da, als ginge sie das Ganze nichts an. Dabei kann nur sie es sein, die gerufen hat – wir kennen Willys Stimme.
Der Ober steht am Tisch. «Was befehlen die Herrschafen?»
«Nudelsuppe, Gulasch und rote Grütze für zwei», erwidert Georg. «Und flott, sonst blasen wir Ihnen die Ohren aus, Sie Blindschleiche!»
Eduard kommt heran. Er versteht nicht, was los ist. Sein Blick gleitet unter den Tisch. Dort ist niemand versteckt, und ein Geist kann nicht so gebrüllt haben. Wir auch nicht, das weiß er. Er vermutet irgendeinen Trick. «Ich muß doch sehr bitten», sagt er schließlich, «in meinem Lokal kann man nicht solchen Lärm machen.»
Niemand antwortet. Wir sehen ihn nur mit leeren Augen an. Renée de la Tour pudert sich. Eduard dreht sich um und geht.
«Wirt! Kommen Sie mal her!» brüllt plötzlich die Donnerstimme von vorher hinter ihm her.
Eduard schießt herum und starrt uns an. Wir alle haben noch dasselbe leere Lächeln auf unseren Schnauzen. Er faßt Renée de la Tour ins Auge. «Haben Sie da eben –?»
Renée klappt ihre Puderdose zu. «Was?» fragt sie in einem silberhellen, zarten Sopran. «Was wollen Sie?»
Eduard glotzt. Er weiß nicht mehr, was er denken soll.
«Sind Sie vielleicht überarbeitet, Herr Knobloch?» fragt Georg. «Sie scheinen Halluzinationen zu haben.»
«Aber da hat doch jemand gerade –»
«Du bist verrückt, Eduard», sage ich. «Du siehst auch schlecht aus. Geh auf Urlaub. Wir haben kein Interesse daran, deinen Angehörigen einen billigen Hügelstein aus imitiertem italienischem Marmor zu verkaufen, denn mehr bist du nicht wert –»
Eduard klappert mit den Augen wie ein alter Uhu.
«Sie scheinen ein merkwürdiger Mensch zu sein», sagt Renée de la Tour in flötenhafem Sopran. «Dafür, daß Ihre Kellner nicht hören können, machen Sie Ihre Gäste verantwort‘ich.»
Sie lacht – ein entzückendes, sprudelndes Gequirl von Silber und Wohllaut, wie ein
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