Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
auch sofort über das, was einem in den Sinn kommt, und es stört nicht, wenn der andere es nicht versteht – das ist nebensächlich. Man will nicht überzeugen und nicht erklären: man ist da und man spricht, und of sprechen zwei Leute über etwas ganz Verschiedenes miteinander und verstehen sich großartig, weil sie nicht auf das hören, was der andere sagt. Papst Gregor VII. zum Beispiel, ein kleines Männchen mit Säbelbeinen, diskutiert nicht. Er braucht niemand davon zu überzeugen, daß er Papst ist. Er ist es, und damit fertig, und er hat große Sorgen mit Heinrich dem Löwen, Canossa ist nicht fern, und darüber spricht er manchmal. Es stört ihn nicht, daß sein Gesprächspartner ein Mann ist, der glaubt, er wäre ganz aus Glas, und der jeden bittet, ihn nicht anzustoßen, weil er schon einen Sprung habe – die beiden sprechen miteinander, Gregor über den König, der im Hemd büßen soll, und der Glasmann darüber, daß er die Sonne nicht ertragen könne, weil sie sich in ihm spiegele – dann erteilt Gregor den päpstlichen Segen, der Glasmann nimmt das Tuch, das seinen durchsichtigen Kopf vor der Sonne behütet, einen Augenblick ab, und beide trennen sich mit der Höflichkeit vergangener Jahrhunderte. Ich war also nicht erstaunt, als Geneviève mich ansprach; ich war nur erstaunt darüber, wie schön sie war, denn sie war gerade Isabelle.
Sie sprach lange mit mir. Sie trug einen leichten hellen Pelzmantel, der mindestens zehn bis zwanzig Kreuzdenkmäler aus bestem schwedischem Granit wert war, und dazu ein Abendkleid und goldene Sandalen. Es war elf Uhr morgens, und in der Welt jenseits der Mauern wäre das unmöglich gewesen. Hier aber wirkte es nur aufregend; als wäre jemand mit einem Fallschirm von einem fremden Planeten herabgeweht worden.
Es war ein Tag mit Sonne, Regenschauern, Wind und plötzlicher Stille. Sie wirbelten durcheinander, eine Stunde war es März, die andere April, und dann fiel unvermittelt ein Stück Mai und Juni hinein. Dazu kam Isabelle, von irgendwoher, und es war wirklich von irgendwoher – von da, wo die Grenzen aufören, wo das Licht der Vernunf nur noch verzerrt wie ein wehendes Nordlicht an Himmeln hängt, die keinen Tag und keine Nacht kennen – nur ihre eigenen Strahlen-Echos und die Echos der Echos und das fahle Licht des Jenseits und der zeitlosen Weite.
Sie verwirrte mich von Anfang an, und alle Vorteile waren auf ihrer Seite. Ich hatte zwar viele bürgerliche Begriffe im Kriege verloren, aber das hatte mich nur zynisch und etwas verzweifelt gemacht, aber nicht überlegen und frei. So saß ich da und starrte sie an, als wäre sie ohne Schwergewicht und schwebe, während ich ihr mühsam nachstolperte. Dazu kam, daß of eine sonderbare Weisheit durch das schimmerte, was sie sagte; es war nur verschoben und gab dann überraschend einen Fernblick frei, der einem das Herz klopfen ließ; doch wenn man ihn halten wollte, wehten schon wieder Schleier und Nebel darüber, und sie war ganz woanders.
Sie küßte mich am ersten Tage, und sie tat es so selbstverständlich, daß es nichts zu bedeuten schien; aber das änderte nichts daran, daß ich es nicht spürte. Ich spürte es, er erregte mich, doch dann schlug es wie eine Welle gegen die Barriere eines Riffes – ich wußte, sie meinte mich gar nicht, sie meinte jemand anderen, eine Gestalt ihrer Phantasie, einen Rolf oder Rudolf, und vielleicht meinte sie auch die nicht, und es waren nur Namen, die aus dunklen, unterirdischen Strömen hochgeworfen wurden, ohne Wurzeln und ohne Zusammenhang.
Sie kam von da an fast jeden Sonntag in den Garten, und wenn es regnete, kam sie in die Kapelle. Ich hatte von der Oberin die Erlaubnis, nach der Messe Orgel zu üben, wenn ich wollte. Ich tat es bei schlechtem Wetter. Ich übte nicht wirklich, dafür spielte ich zu schlecht; ich tat nur dasselbe wie mit dem Klavier: ich spielte für mich, irgendwelche lauen Phantasien, so gut es ging, etwas Stimmung und Träumerei und Sehnsucht nach Ungewissem, nach Zukunf, nach Erfüllung und nach mir selbst, und man brauchte nicht besonders gut zu spielen, um das zu können. Isabelle kam manchmal mit mir und hörte zu. Sie saß dann im Halbdunkel unten, der Regen klatschte an die bunten Scheiben, und die Orgeltöne gingen über ihr dunkles Haupt dahin – ich wußte nicht, was sie dachte, und es war sonderbar und etwas sentimental, aber dahinter stand dann plötzlich die Frage nach dem Warum, der Schrei, die Angst und das
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