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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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zu spät und vorher ist es eine Hetze.»
      «Oh, was das betrif – Sie könnten natürlich hier essen, wenn Sie wollen. Hochwürden ißt ja auch immer hier. Vielleicht ist das ein Ausweg.»
      Es ist genau der Ausweg, den ich wollte. Das Essen hier ist fast so gut wie bei Eduard, und wenn ich mit dem Priester zusammen esse, gibt es bestimmt eine Flasche Wein dazu. Da Eduard sonntags das Abonnement gesperrt hat, ist das sogar ein hervorragender Ausweg.
      «Gut», sage ich. «Ich werde es versuchen. Über das Geld brauchen wir weiter nicht zu reden.»
      Die Oberin atmet auf. «Gott wird es Ihnen lohnen.»

    Ich gehe zurück. Die Wege im Garten sind leer. Ich warte noch eine Zeitlang auf das gelbe Segel aus Shantungseide. Dann läuten die Glocken aus der Stadt zu Mittag, und ich weiß, daß jetzt der Schlaf für Isabelle kommt und dann der Arzt, und vor vier Uhr ist nichts zu machen. Ich gehe durch das große Tor den Hügel hinunter. Unten liegt die Stadt mit ihren grün patinierten Türmen und den rauchenden Schornsteinen. Zu beiden Seiten der Kastanienallee breiten sich die Felder aus, in denen an den Wochentagen die ungefährlichen Irren arbeiten. Die Anstalt ist zum Teil öffentlich, zum Teil privat. Die Privatpatienten brauchen natürlich nicht zu arbeiten. Hinter den Feldern beginnt der Wald mit Bächen, Teichen und Lichtungen. Ich habe dort als Junge Fische, Molche und Schmetterlinge gefangen. Es ist erst zehn Jahre her; aber es scheint in einem anderen Leben gewesen zu sein, in einer verschollenen Zeit, in der das Dasein ruhig ablief und sich organisch entwickelte und in der alles zueinander gehörte, von der Kindheit an. Der Krieg hat das verändert; wir leben seit 94 Fetzen aus einem und dann Fetzen aus einem zweiten und dritten Leben; sie gehören nicht zusammen und wir können sie auch nicht zusammenbringen. Deshalb ist es nicht einmal zu schwierig, Isabelle mit ihren verschiedenen Leben zu verstehen. Nur ist sie fast besser dran als wir; sie vergißt, wenn sie in einem ist, alle anderen. Bei uns aber gehen sie durcheinander – die Kindheit, die abgerissen wurde durch den Krieg, die Zeit des Hungers und die des Schwindels, die der Schützengräben und die der Lebensgier –, von allen ist etwas geblieben und macht unruhig. Man kann es nicht einfach beiseite schieben. Es taucht immer überraschend wieder auf und steht sich dann unversöhnlich gegenüber: der Himmel der Kindheit und die Kenntnis des Tötens, die verlorene Jugend und der Zynismus zu frühen Wissens.

    IV

    Wir sitzen im Büro und warten auf Riesenfeld. Als Abendessen haben wir eine Erbsensuppe zu uns genommen, die so dick war, daß der Schöpflöffel aufrecht darin stehenblieb – dazu haben wir das Fleisch gegessen, das hineingekocht worden ist – Schweinepfoten, Schweineohren und für jeden ein sehr fettes Stück Schweinebauch. Das Fett brauchen wir, um unsere Mägen gegen den Alkohol zu imprägnieren – wir dürfen heute auf keinen Fall früher betrunken werden als Riesenfeld. Die alte Frau Kroll hat deshalb selbst für uns gekocht und uns zum Nachtisch noch eine Portion fetten Holländer Käse aufgedrängt. Die Zukunf der Firma steht auf dem Spiel. Wir müssen Riesenfeld eine Ladung Granit entreißen, selbst wenn wir dafür auf den Knien vor ihm nach Hause rutschen müssen. Marmor, Muschelkalk und Sandstein haben wir noch – aber Granit, der Kaviar der Trauer, fehlt uns bitter.
      Heinrich Kroll ist aus dem Weg geräumt worden. Der Sargtischler Wilke hat uns den Gefallen getan. Wir haben ihm zwei Flaschen Korn gegeben, und er hat Heinrich vor dem Abendessen zu einem Skat mit freiem Schnaps eingeladen. Heinrich ist daraufereingefallen; er kann nicht widerstehen, wenn er etwas umsonst bekommt, und trinkt dann, so rasch er kann; außerdem hält er sich, wie jeder nationale Mann, für einen sehr widerstandsfähigen Zecher. In Wirklichkeit kann er nicht viel vertragen, und der Rausch holt ihn plötzlich. Ein paar Minuten vorher ist er noch bereit, die sozialdemokratische Partei allein aus dem Reichstag zu prügeln – und gleich darauf schnarcht er mit offenem Munde und ist nicht einmal durch das Kommando: Sprung auf, marsch, marsch! mehr zu erwecken, besonders wenn er, wie wir das arrangiert haben, vor dem Essen auf leeren Magen den Schnaps getrunken hat. Er schläf jetzt unschädlich in Wilkes Werkstatt in einem Sarg aus Eichenholz, weich auf Sägespäne gebettet. In sein Bett haben wir ihn, aus äußerster Vorsicht, da

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