Der Schwarze Orden
davon leicht benommen wurde. Sie zerbiß eine Kapsel mit Pfefferminz, die sie sich heimlich in den Mund gesteckt hatte, als sie aus dem Auto gestiegen war. Das half gegen das betörende Parfüm.
Eine primitive Form von Gehirnwäsche, dachte sie. Ein plumper Versuch, sie in einen Zustand vollkommener Desorientierung zu versetzen.
Mit halbgeschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf einen Spaziergang am Meer, den sie in Devon oft gemacht hatte. Sie füllte ihren Verstand mit jeder Windung und Biegung des Pfades, sah die Meereswellen, die gegen die Klippen anbrandeten, den Frachter, der sich dem nächsten Hafen entgegen kämpfte.
Sie blockte das Dröhnen der Musik ab, indem sie dem Donnern der Wellen lauschte, die sich an den Klippen brachen, neutralisierte die verrückten Filme, die sich an den Wänden drehten, indem sie sich auf das langsame Vorankommen des Frachters konzentrierte, den sie einmal beobachtet hatte.
Plötzlich hörte alles auf. Die sogenannte Musik. Die Filme an den Wänden. Die zuckenden Stroboskoplichter. Das Pfefferminz hatte das Parfüm in Schach gehalten.
Sie saß vollkommen reglos da, als sie die Tür aufgehen hörte und Hassan neben ihr auftauchte.
Wortlos schloß er die Handschellen auf. Sie ließ die Arme schlaff an den Seiten des Sessels hinab hängen. Er streichelte behutsam ihre Wangen, um sie in die Wirklichkeit zurückzuholen. Sie blieb weiter vollkommen reglos sitzen, wie eine Wachsfigur. Er beugte sich zu ihr herab, um ihr ins Ohr zu flüstern: »Du kannst jetzt aufstehen.«
Langsam, als erforderte es enorme Anstrengung, erhob sie sich von ihrem Sitz und schüttelte, scheinbar benommen, den Kopf. Als Hassan sie mit kräftigen Fingern am Arm packte, zwang sie sich, ihren Abscheu vor seiner Berührung zu verbergen. Er führte sie zu einer anderen Tür, schloß sie auf und fragte mit seiner öligen Stimme:
»Bist du bereit, meine Liebe?«
Zum Teufel mit ihm.
»Sicher«, fuhr sie ihn an.
»Laß das Gewand und den Schleier noch an. Nimm das.«
Er reichte ihr eine Luger. Ihre Finger schlossen sich um den Griff der Waffe, mit der sie auf dem Schießstand unzählige Stunden geübt hatte. Sie checkte das Magazin. Es war voll.
»In der Annagasse ist dir ein schwerer Fehler unterlaufen«, sagte Hassan streng. »In diesem Raum befindet sich ein Versuchskaninchen. Du kennst das ja, du warst schon mal da drinnen. Jetzt laß mal sehen, wie du so was machst, wie du es bei Engel hättest machen sollen.«
Ruhig betrat sie den Raum, in dem beim letzten Mal Teppichboden gelegen hatte.
Diesmal bestand der Boden aus blanken Steinplatten. Sie legte die Luger auf die Couch und streifte sich ein Paar Gummihandschuhe über, die sie aus einer verborgenen Tasche ihres schwarzen Gewands geholt hatte. An einem antiken Schreibtisch in der Mitte des Raumes saß, mit dem Rücken zu ihr, eine leblose Gestalt. Sie hatten die Szene nachgestellt, die sie in Engels Arbeitszimmer vorgefunden hatte.
Sie nahm die Luger wieder und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. So hatte sie es auch in der Annagasse gemacht, um zu testen, ob der Fußboden irgendwo knarzte und ihr Opfer auf sie aufmerksam machen könnte. Dann blieb sie stehen und blickte, wieder wie in Wien, rasch hinter sich, um sich zu vergewissern, daß außer ihr niemand im Raum war. Hassan war an der Tür, die er leise geschlossen hatte, stehengeblieben. Er hatte die Arme verschränkt und beobachtete sie mit einem grimmigen Lächeln in seinem ansonsten ausdruckslos glatten Gesicht. Schließlich hob er zum Zeichen, sie solle weitermachen, die Hand.
Die Gestalt am Schreibtisch rührte sich nicht. Die Szene hatte etwas Gespenstisches – Engel, der für seine enorme Konzentrationskraft bekannt gewesen war, hatte genauso reglos dagesessen und ein Dokument studiert. Dann hatte er das Blatt Papier plötzlich in eine Schublade gelegt und die Schublade zugeworfen. Aus Angst, er könnte sie gehört haben, war sie unverzüglich zur Tat geschritten.
Auch jetzt schritt sie rasch zur Tat. Sie führte den Lauf bis auf zwei Zentimeter an den Kopf des Mannes heran und drückte ab. Der Schalldämpfer schluckte das Krachen des Schusses. Die obere Hälfte des Kopfes explodierte. Knochensplitter, Haare und Blut verteilten sich über Schreibtisch und Boden. Beide Arme von sich gestreckt, sank die Gestalt auf den Schreibtisch. Genau wie Engel.
Trotz des Schocks reagierte sie blitzschnell. Sie wußte, Hassan beobachtete sie. Sie hob den rechten Arm des Toten am
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