Der Schwarze Papst
wann du ein Hitze-Gesicht machst. Heute hast du dieses Mir-passt-allesnicht-Gesicht. Was passt dir nicht? Wir haben einen wunderbaren Tag, die Sonne scheint, der Fahrtwind weht uns ins Gesicht, der kühle Wein erfrischt … Hast du dir etwa noch keinen Wein genommen? Du musst doch nicht darum bitten, Sandro. Du nicht.«
Julius gab einem Lakai ein Zeichen, der daraufhin einen Becher füllte.
Sandro hätte gerne auf den Wein verzichtet. Seit Monaten versuchte er, davon loszukommen. Aber wie war das möglich, wenn Julius ihm immerzu einen gefüllten Becher in die Hand drückte und Ablehnung nicht gelten ließ? Und der Wein war
dabei nur ein Symbol für alles Übrige, in das der Papst ihn nach und nach hineinzog: in die apostolische Politik, in den Prunk, in ein auf Karriere ausgerichtetes Denken, in dem die Mildtätigkeit eine immer geringere Rolle spielte, bis sie irgendwann vertrieben worden sein würde. Schon jetzt kam Sandro wegen der vielen Arbeit kaum noch dazu, in das Hospital seines Jesuitenordens zu gehen und dort die Armen und Kranken zu versorgen, wie er es sich vorgenommen hatte. Er durfte sich nichts vormachen. Er trank kühlen Wein und dachte an eine Frau, die er liebte und für sich gewinnen wollte - er war der Inbegriff eines päpstlichen Günstlings, ob es ihm nun passte oder nicht.
»Oh, jetzt weiß ich, was dich stört«, rief Julius. »Dass ich den Knaben dort vorn am Bug singend in der Sonne schmoren lasse, habe ich recht? Ja, so ist mein Sandro. Also bitte.«
Julius klatschte zweimal in die Hände und winkte den Knaben zu sich heran. »Du hast sehr hübsch gesungen, mein Sohn. Sehr hübsch. Deine Stimme ist formidabel. Willst du einmal Kirchenmusiker werden?«
Der Knabe schüttelte den Kopf. »Papst.«
Julius und Sandro lachten, und sogar Massa verzog kurz das Gesicht zu einem schmalen Grinsen.
»Du bist wenigstens ehrlich«, sagte Julius. »Ein Papst, der so schön singt wie du, wäre mal etwas anderes. Wenn ich die Hostie hebe und dabei meine Stimme zu Gott aufsteigen lasse, kommt bloß ein armseliges Gekrächze heraus.«
Massa wollte etwas sagen, aber Julius hob die Hand und gebot ihm Schweigen. »Verschone mich mit deinen Schmeicheleien, Massa. Ich weiß, dass ich krächze. Der Wein hat meine Stimme verändert.« Julius wurde kurz nachdenklich, dann erinnerte er sich der Anwesenheit des Knaben. »Ich habe dich zu lange in der Sonne stehen lassen. Nimmst du mir das übel?«
»Jetzt nicht mehr«, sagte der Junge.
Julius lächelte. »Sandro, gib dem Jungen einen Obolus nach deinem Ermessen. Wie ich dein Ermessen kenne, wird es reichlich sein. Aber lass mir noch ein paar Denare übrig, hörst du? Meine Schatzkammer ist weniger gut gefüllt, als die Leute glauben.«
Sandro entlohnte den Knaben großzügig, wies ihm einen Stuhl im Schatten zu und kehrte wieder auf seinen Platz zurück. Er fühlte sich jetzt etwas besser. Nicht nur, weil der Knabe sich ausruhen konnte, sondern auch, weil Julius von sich aus gehandelt und sich sogar indirekt entschuldigt hatte. Zwischen Julius’ Vergnügungssucht und Ignoranz, die er überreich besaß, und seinen zahlreichen Sünden, von denen Sandro ein paar kannte, blitzte immer öfter auch der Charakter auf, den er in jungen Jahren gehabt hatte, bevor er seine geistliche Karriere begann. Julius war durchaus in der Lage, seine Fehler und Schwächen zu erkennen, und das waren die Voraussetzung und der erste Schritt, sich zu ändern.
Die Barke, die vor zwei Stunden außerhalb der Stadtmauer im Quartiere Ostiense abgelegt hatte, näherte sich ihrem Zielort am Castel Sant’ Angelo. Der Ausflug ging seinem Ende entgegen, und Sandro freute sich schon auf seinen freien Nachmittag. Er hatte viel vor. Doch seine Freude währte nicht lange.
Je näher man dem Ufer kam, wo eine Delegation wartete, die den Papst in den Vatikan geleiten sollte, desto genauer konnte Sandro eines der Delegationsmitglieder erkennen. Sein Blick verfinsterte sich. War das etwa … Hatte dieser Mann eine Ähnlichkeit mit … Das war nicht möglich.
Doch. Luis. Luis de Soto. Er war es.
Sie fixierten einander wie zwei Amselmännchen, als sie sich in ihrer schwarzen Jesuitenkluft gegenüberstanden. Luis hatte sich in dem Dreivierteljahr, seit sie sich bei dem Konzil von Trient zuletzt gesehen hatten, nicht verändert: das hagere Gesicht,
das arrogante Schmunzeln … Immer noch derselbe Hochmut, mit dem Unterschied, dass Sandro ihn heute erkannte. Damals hatte er zu Luis, dem begabten
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