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Der Schwarze Phoenix

Titel: Der Schwarze Phoenix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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mit der Hand seine Augen vor dem Sonnenlicht. Das blasse Morgenlicht in Darkside erschien geradezu grell im Vergleich zum Inneren des »Mitternacht«, in dem die Gäste in vollkommener Finsternis ihre geheimnisvollen Getränke hinunterkippten. Edwin hatte jegliches Zeitgefühl verloren und wusste nicht mehr, ob er Stunden oder Tage dort verbracht hatte. Überrascht stellte er fest, dass er unversehrt war und sich niemand an seinen wenigen Habseligkeiten vergriffen hatte. Die meisten Besucher des »Mitternacht« erfuhren schmerzhaft am eigenen Leib, dass eine stockfinstere Bar ein ideales Jagdrevier für Taschendiebe und ähnliches Gesindel darstellte.
    Als sich seine Augen langsam an das Licht gewöhnt hatten, sog Edwin die schmuddelige Erhabenheit der Hauptstraße von Darkside in sich auf. In seiner Jugend hatte er der Brutalität dieses Ortes gehuldigt, indem er, auf dem Bürgersteig stehend, rasche Skizzen der Gebäude angefertigt hatte, und so kannte er jedes zerbrochene Fenster und jedes rostige Geländer. Meist war esin den Morgenstunden ruhig auf der Hauptstraße, die sich eine kurze Verschnaufpause zu gönnen schien, bevor sie wieder von Gewaltausbrüchen heimgesucht wurde. Die Menschenmenge, die sich nachts zusammenrottete, war einigen wenigen Passanten und dem gelegentlichen Hufeklappern eines Pferdefuhrwerks gewichen. Hoch oben, über den Straßen, stieg teilnahmslos Rauch aus hohen Schornsteinen auf.
    Die Hauptstraße war trotzdem keineswegs sicher. Eine dumpfe Atmosphäre der Gewalt hing in der Luft. Die Darksider warfen sich misstrauisch drohende Blicke zu und hatten stets die Hände frei, nur für den Fall, dass sie sich verteidigen mussten. Einige Männer drängten sich verschwörerisch in den Hauseingängen zusammen und flüsterten hektisch miteinander. Auf der anderen Seite prügelten sich ein paar Straßenkinder in der Gosse.
    Edwin strich mit seinen schwieligen Fingern an den vernarbten Überresten seines linken Ohrs entlang, eine vertraute und beruhigende Geste. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er nicht hätte trinken sollen, und er schmeckte den wohlbekannten Nachgeschmack der Schuldgefühle auf seiner Zunge. Er war sofort ins »Mitternacht« geeilt, nachdem er die Barke von Lightside zurückmanövriert hatte. Eigentlich hätte er nach Hause gehen sollen, um an einem weiteren Gemälde zu arbeiten, aber als er sich dabei ertappte, wie er die vertrauten Stufen hinabstieg, tröstete er sich mit dem Gedanken, dass eine anstrengende Reise hinter ihm lag. Es war ganz normal, dass er sich danach entspannenwollte. Ein Schlummertrunk würde nicht schaden.
    Das war vor vielen, vielen Tagen gewesen.
    In Wahrheit, das konnte Edwin sich jetzt eingestehen, war er zu Tode erschrocken. Er war immer der schwächste unter seinen Freunden gewesen: Bruder Furchtlos hatten sie ihn voll beißender Ironie genannt. Nun war er in eine Verschwörung hineingezogen worden, bei der er den gefährlichsten Leuten von Darkside gegenüberstand. In einer heilen Welt hätte Edwin den anderen gesagt, sie sollen sich zum Teufel scheren, und er hätte nichts mit ihrer Intrige zu schaffen gehabt, aber in dieser Welt war er total pleite, und die in Aussicht gestellte Belohnung lag jenseits seiner Vorstellungskraft. Wenn alles klappte, würde er nie wieder Geldsorgen haben. Er könnte in ein schöneres Haus ziehen, sich neue Kleider kaufen und das Vertrauen und den Respekt seiner Familie zurückgewinnen. Seit Jahren behandelten sie ihn mit Hohn und Verachtung. Sie konnten nicht verstehen, warum er in einem Künstleratelier glücklicher war als an Deck eines Schiffs, oder warum er sich mit einem Pinsel in der Hand wohler fühlte als mit der Ruderpinne eines Boots. Wenn er wieder reich wäre, müssten sie ihn akzeptieren. Vielleicht könnte er dann sogar das »Mitternacht« kaufen.
    Während er so versuchte, sich selbst zu trösten, zog Edwin seine Hutkrempe tiefer ins Gesicht und bereitete sich darauf vor, den langen Weg nach Hause zu wanken. Als er seine Hände tief in den Taschen vergrub, streiften seine Finger ein Stück Papier. Er zog esheraus und faltete es auseinander. Seine glasigen Augen konnten die Handschrift kaum lesen, aber schließlich gelang es ihm, die Nachricht zu entziffern. Sie lautete:

    Du wirst meine Antwort sein.

    Seine Nackenhaare sträubten sich und sein Mund wurde trocken. Er las die Botschaft ein zweites und ein drittes Mal. Der Inhalt blieb beharrlich derselbe. Edwin blickte suchend die Straße auf und

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